Samstag, 5. Dezember 2015

Der Camembert, die Toffifee und das letzte Stück Käsekuchen



Der Camembert

Ein unbeachteter Camembert lag still auf der Käseplatte und sein cremiges Herz schmolz in der Wärme langsam vor sich hin. Und weil er so unbeachtet blieb, hatte er ein wenig Zeit über sein Leben nachzudenken, das als ein Schluck Milch begonnen hatte. Er dachte nicht französisch, denn seines Zeichens war er ein deutscher Etikettenschwindler. Aber darüber machte er sich keinen Kopf, zumal er den nicht einmal hatte. Was hatte er nicht alles erleben müssen auf seinem Weg zu dieser Krönung seiner Karriere als in Würde gealtertes Milchprodukt auf einer liebevoll angerichteten Käseplatte für eine illustre Gesellschaft. Als warmer Strahl war er von Bauers Hand dem Euter seiner Mutterkuh entrissen und in einem eisig kalten Eimer gesammelt worden. Wie zärtlich hingegen die sanften Hände der Sennerin, die ihn liebkosten und brachen und quetschten. Er dachte auch an seine Zwangsehe mit einer Schimmelpilzin, die sein Leben so ganz und gar durchdrang und an die dunkle Zeit in einem kühlen Felsenkeller. Und an die Stille, die er da genoss, da seine schimmlige Gattin zwar Kultur hatte, aber ganz und gar stumm war. Sie hatte ihn in ihre Liebe gehüllt und er hatte es mit sich machen lassen. Sie hatte sein Herz erweicht und so war er sie nicht mehr losgeworden. Aber zumindest hatte sie sein Leben veredelt, wer weiß, vielleicht wäre sonst ein ordinäres Stück Gouda oder Emmentaler aus ihm geworden. Ganz sicher hätte er es damit nicht in den Kreis dieser auserlesen Gourmets gebracht, auf deren laktophiler Schlachtplatte er angerichtet war. Ohne eingebildet zu sein, war er stolz, sein Dasein als Camembert zu fristen, auch wenn er nur ein deutsches Exemplar war, doch zumindest war er von Adel. Er gab sich gerade ein wenig seinem heimlichen Stolz hin, als ein Käsemesser seine Gedanken abrupt abschnitt und er nun schlicht sein Leben hinzugeben hatte. Übrig blieb am Ende nur ein leeres Plätzchen auf der Käseplatte und ein zufriedener Gaumen.

Das Märchen von der Toffifee

Die kleine Fee mit Namen Toffi lebte schon lange mit ihren Schwestern in einer Pappschachtel im Wohnzimmerschrank. Sie langweilte sich ein bisschen in ihrem goldenen Bett aus Polyethylen. Ihr Leben war voller Schokolade, aber sie hatte ein hartes Haselnussherz und neidete ihren Nachbarn ihr Leben in weichen Papier-Rüschen und schillerndem Silberpapier. Ihr eigenes Reich kam ihr dagegen so schlicht vor. Wie gerne wäre sie eine feine Nougatpraline gewesen oder zumindest ein edles Schokoladenhäppchen in einer eigenen kleinen Papierwohnung, statt hier mit ihren Schwestern in einer Schachtel ohne echte Privatsphäre zu leben. Erst gestern war die Wohnung neben ihr frei geworden, dort hatte eine ihrer geschwätzigen Schwestern gelebt und tagein, tagaus vor sich hin gesungen. In ihr hatte so viel Spaß gesteckt, dass sie ihn zwanghaft mit allen in der Schachtel teilen musste. Die kleine Toffifee war da anders und es brauchte erst zwei Finger, die sie gierig aus ihrer Umgebung zu rissen, ein warmer Mund um ihr Innerstes zum Schmelzen zu bringen und ein paar Zähne um endlich ihr Herz zu knacken. Und erst da begriff sie, wie sehr sie ihre Zeit in der Schachtel hätte genießen sollen.

Das letzte Stück Käsekuchen

Elf seiner Brüder hatte er bereits verloren und blieb so der letzte seiner Art. Zumindest an diesem Tag und auf dieser Kuchenplatte. Alle seine Brüder waren mit einer heißen Tasse Kaffee durchgebrannt und hatten sich gemeinsam mit ihr in die Welt jenseits des Tresens aufgemacht. Sie waren aber auch alle – genau wie er – ganz schön süße Schnitten gewesen. Wie er sich nun gerade so ein wenig selbstgefällig in seiner ganzen, unwiderstehlichen Cremigkeit sonnte, spürte er das kühle Metall einer rücksichtslosen Kuchenschaufel unter seinem kuchigen Unterbau und wurde seiner Heimat entrissen. Leicht verwirrt landete er auf einem Kuchenteller und als er vorsichtig über dessen Rand blickte, sah er sie: dampfend, dunkel und in unschuldiges Weiß gehüllt. Sie war eine Italienerin, klein, aber durchaus selbstbewusst und stark in ihrer winzigen Porzellanunterkunft und geschmückt mit einem schlichten Espressolöffel, der ihr unglaublich eng um die schlanke Taille lag. Erst als das Gemetzel begann, wurde ihm klar, dass er sie nur Stückweise Schlückchen für Schlückchen kennen lernen würde, bevor sie sich eine Weile ein gemeinsames Zuhause teilen würden. Daran hatte er erst ein wenig zu knabbern, aber irgendwann hatte er den Schock verdaut.

Hopfen und Bangen

Ein männlicher Bierflasch mit colonianischem Hintergrund stand gut gekühlt im Regal. Er war einsam, auch wenn er von anderen Flaschen umstanden war, doch die verstanden seinen Dialekt nicht, waren sie doch alle im Grunde genommen tschechischen Ursprungs. Es herrschte ein munteres Kommen und gehen im Regal und auch er wäre gerne einmal gegangen, allerdings kam er sich heute dafür ein bisschen zu früh vor. Doch trotzdem öffnete sich die Türe der Kühlung und eine warme Hand griff nach ihm. Ein wenig später entriss ihm ein herzloser Flaschenöffner seine Krone, dann kippte er und ihm wurde plötzlich ganz Andreas. Danach fühlte er sich leer und wanderte als männlicher Flasch zurück in den Kasten, das Flaschenseniorenheim.