Der Camembert
Ein unbeachteter Camembert lag still auf der Käseplatte und sein
cremiges Herz schmolz in der Wärme langsam vor sich hin. Und weil er
so unbeachtet blieb, hatte er ein wenig Zeit über sein Leben
nachzudenken, das als ein Schluck Milch begonnen hatte. Er dachte
nicht französisch, denn seines Zeichens war er ein deutscher
Etikettenschwindler. Aber darüber machte er sich keinen Kopf, zumal
er den nicht einmal hatte. Was hatte er nicht alles erleben müssen
auf seinem Weg zu dieser Krönung seiner Karriere als in Würde
gealtertes Milchprodukt auf einer liebevoll angerichteten Käseplatte
für eine illustre Gesellschaft. Als warmer Strahl war er von Bauers
Hand dem Euter seiner Mutterkuh entrissen und in einem eisig kalten
Eimer gesammelt worden. Wie zärtlich hingegen die sanften Hände der
Sennerin, die ihn liebkosten und brachen und quetschten. Er dachte
auch an seine Zwangsehe mit einer Schimmelpilzin, die sein Leben so
ganz und gar durchdrang und an die dunkle Zeit in einem kühlen
Felsenkeller. Und an die Stille, die er da genoss, da seine
schimmlige Gattin zwar Kultur hatte, aber ganz und gar stumm war. Sie
hatte ihn in ihre Liebe gehüllt und er hatte es mit sich machen
lassen. Sie hatte sein Herz erweicht und so war er sie nicht mehr
losgeworden. Aber zumindest hatte sie sein Leben veredelt, wer weiß,
vielleicht wäre sonst ein ordinäres Stück Gouda oder Emmentaler
aus ihm geworden. Ganz sicher hätte er es damit nicht in den Kreis
dieser auserlesen Gourmets gebracht, auf deren laktophiler
Schlachtplatte er angerichtet war. Ohne eingebildet zu sein, war er
stolz, sein Dasein als Camembert zu fristen, auch wenn er nur ein
deutsches Exemplar war, doch zumindest war er von Adel. Er gab sich
gerade ein wenig seinem heimlichen Stolz hin, als ein Käsemesser
seine Gedanken abrupt abschnitt und er nun schlicht sein Leben
hinzugeben hatte. Übrig blieb am Ende nur ein leeres Plätzchen auf
der Käseplatte und ein zufriedener Gaumen.
Das Märchen von der
Toffifee
Die kleine Fee mit Namen
Toffi lebte schon lange mit ihren Schwestern in einer Pappschachtel
im Wohnzimmerschrank. Sie langweilte sich ein bisschen in ihrem
goldenen Bett aus Polyethylen. Ihr Leben war voller Schokolade, aber
sie hatte ein hartes Haselnussherz und neidete ihren Nachbarn ihr
Leben in weichen Papier-Rüschen und schillerndem Silberpapier. Ihr
eigenes Reich kam ihr dagegen so schlicht vor. Wie gerne wäre sie
eine feine Nougatpraline gewesen oder zumindest ein edles
Schokoladenhäppchen in einer eigenen kleinen Papierwohnung, statt
hier mit ihren Schwestern in einer Schachtel ohne echte Privatsphäre
zu leben. Erst gestern war die Wohnung neben ihr frei geworden, dort
hatte eine ihrer geschwätzigen Schwestern gelebt und tagein, tagaus
vor sich hin gesungen. In ihr hatte so viel Spaß gesteckt, dass sie
ihn zwanghaft mit allen in der Schachtel teilen musste. Die kleine
Toffifee war da anders und es brauchte erst zwei Finger, die sie
gierig aus ihrer Umgebung zu rissen, ein warmer Mund um ihr Innerstes
zum Schmelzen zu bringen und ein paar Zähne um endlich ihr Herz zu
knacken. Und erst da begriff sie, wie sehr sie ihre Zeit in der
Schachtel hätte genießen sollen.
Das letzte Stück
Käsekuchen
Elf seiner Brüder hatte
er bereits verloren und blieb so der letzte seiner Art. Zumindest an
diesem Tag und auf dieser Kuchenplatte. Alle seine Brüder waren mit
einer heißen Tasse Kaffee durchgebrannt und hatten sich gemeinsam
mit ihr in die Welt jenseits des Tresens aufgemacht. Sie waren aber
auch alle – genau wie er – ganz schön süße Schnitten gewesen.
Wie er sich nun gerade so ein wenig selbstgefällig in seiner ganzen,
unwiderstehlichen Cremigkeit sonnte, spürte er das kühle Metall
einer rücksichtslosen Kuchenschaufel unter seinem kuchigen Unterbau
und wurde seiner Heimat entrissen. Leicht verwirrt landete er auf
einem Kuchenteller und als er vorsichtig über dessen Rand blickte,
sah er sie: dampfend, dunkel und in unschuldiges Weiß gehüllt. Sie
war eine Italienerin, klein, aber durchaus selbstbewusst und stark in
ihrer winzigen Porzellanunterkunft und geschmückt mit einem
schlichten Espressolöffel, der ihr unglaublich eng um die schlanke
Taille lag. Erst als das Gemetzel begann, wurde ihm klar, dass er sie
nur Stückweise Schlückchen für Schlückchen kennen lernen würde,
bevor sie sich eine Weile ein gemeinsames Zuhause teilen würden.
Daran hatte er erst ein wenig zu knabbern, aber irgendwann hatte er
den Schock verdaut.
Hopfen und Bangen
Ein männlicher
Bierflasch mit colonianischem Hintergrund stand gut gekühlt im
Regal. Er war einsam, auch wenn er von anderen Flaschen umstanden
war, doch die verstanden seinen Dialekt nicht, waren sie doch alle im
Grunde genommen tschechischen Ursprungs. Es herrschte ein munteres
Kommen und gehen im Regal und auch er wäre gerne einmal gegangen,
allerdings kam er sich heute dafür ein bisschen zu früh vor. Doch
trotzdem öffnete sich die Türe der Kühlung und eine warme Hand
griff nach ihm. Ein wenig später entriss ihm ein herzloser
Flaschenöffner seine Krone, dann kippte er und ihm wurde plötzlich
ganz Andreas. Danach fühlte er sich leer und wanderte als männlicher
Flasch zurück in den Kasten, das Flaschenseniorenheim.