Samstag, 3. Dezember 2016

(Un)weihnachtliche Gedanken



Wo Winter einst mit eis’ger Hand
Uns frost’ge Blumen malte,
Im Schneegestöber unverwandt
Das Land ganz weiß erstrahlte,
Da kommt die weiße Winterpracht
Uns heute aus der Dose.
Und wird "mit Liebe" angebracht
Ganz ohne woll’ne Hose.

Gesprüht wird künstlich Schnee und Eis
Auf warme Thermoscheiben
Denn was auch kommt, eins ist gewiss:
Weiß muss die Weihnacht bleiben.
Und duften soll’s im ganzen Haus
Nach Tannenwald und Plätzchen,
Doch Nadeln fallen keine aus
Dem teuren Plastikschätzchen.

Längst hat ein grüner Kunststoffbaum,
Das Tannengrün vertrieben
Von unser aller Weihnachtstraum
Ist nicht mehr viel geblieben.
Und riecht es doch ganz weihnachtlich
Nach Keks und grüner Tanne,
Erstrahlt im Raum ganz sicherlich
Duftkerzens helle Flamme.

Montag, 28. November 2016

Manchmal denke sogar ich politisch... und ich weiß, dass ich vielleicht dem ein oder anderen damit auf die Füße treten werde.

Liebe SPD,

was ist nur aus dir geworden? Ja, ich weiß, diese Frage dürfte man all unseren Parteien gleichermaßen an den Kopf werfen, doch auf die SPD trifft sie im besonderen Maße zu. Inhaltlich gesichtslos, dafür personell um so gewichtiger und gerade dadurch an den Rand der Unwählbarkeit gerutscht. Ein Parteivorsitzender, der es sich auf der Bank neben Mama Merkel so gemütlich gemacht hat, dass seine eigene Partei viel eher noch als kleine Schwester der CDU auftritt, als deren leibliche, wenn auch ungeliebte Schwester CSU es jemals tat. 

Und nun soll dieser Sigmar doch tatsächlich Kanzler werden? Die Alternative für Angie? Ich würde ja lachen, wenn es nicht so unfassbar traurig wäre. Der Vorsitzende einer Arbeiterpartei, der eigentlich nur durch Lobbyarbeit für die Arbeitgeber und Großkonzerne in die Schlagzeilen gerät, der sich wendet, wie ein Fähnchen im Wind, um an der Macht zu bleiben, die neben Angela Merkel am Ende doch nichts anderes ist als eine Illusion?

Seinen ärgesten Konkurrenten - gerade weil in seinem Amt und beim deutschen Volk jenseits aller Parteistreitigkeiten beliebten - Steinmeier hat er ja geschickt auch gegen den Willen seiner Mutti Angela in das Präsidentenamt abgeschoben. Wäre er nicht der bessere Kanzlerkandidat? Vielleicht hat sich Angela so lange gegen ihn als Bundespräsidet gewehrt, weil sie sehr wohl weiß, dass er sie bei einer Wahl hätte schlagen können? Nach all den Jahren an der Macht hätte ihr ein Wechsel vielleicht gut getan. Mit ihrem Außenminister als Nachfolger hätte sie vielleicht leben können... wir werden es nie erfahren.

Nun ist ein neuer SPD-Spitzenkandidat angetreten, um auf den letzten Metern das Amt des Außenministers zu übernehmen. Ein eigentlich unbeschriebenes Blatt in der Bundespolitik, dafür aber ein streitbarer Kämpfer auf EU-Ebene. Einer, der den Mund aufmacht und auch unangenehme Dinge ausspricht. Aber kann jemand, der so weitab vom politischen Sumpf Berlins groß geworden ist, in diesem Spiel wirklich bestehen? Schon wurde er als möglicher Kanzlerkandidat ausgerufen. Eigentlich ein sicheres Zeichen dafür, dass es für seine Karriere womöglich besser gewesen wäre, weiter auf den Europäischen Politikzirkus zu setzen, statt sich in Berlin verheizen zu lassen.

Solange Sigmar Gabriel die einzige Antwort der SPD auf die Frage nach einer Alternative zur Kanzlerin Angela Merkel bleibt, wird die SPD bei den nächsten Wahlen untergehen. Niemand hält den Vorsitzenden der SPD für eine echte Alternative. Das ist das Problem, wenn man zu lange in einer "Großen Koalition" stecken bleibt. Man verliert mit jedem Jahr an Profil und Gesicht, wird in seinen eigenen Ansichten immer unglaubwürdiger.

Viele sehen keinen anderen Weg, etwas in diesem Land zu ändern, als die einzige Alternative zu wählen, die sich ihnen anbietet. Dem Stillhalten der SPD ist der Aufstieg der AfD zu verdanken. Sie hat fleissig alle Unzufriedenen eingesammelt und unter ihrem wild zusammengeschusterten Dach zusammen gerufen. Ihr Wahlprogramm ist ein einziger Widerspruch, aber jeder ihrer Wähler klammert sich an das, was seinen eigenen Gefühlen entgegenkommt. Dabei bleibt zweitrangig, dass sie an anderen Ecken vielleicht der eigenen Meinung vollkommen entgegensteht.

Ich habe Angst vor dem Ergebnis der nächsten Wahl und das nicht erst, seit es Viktor Orban, den Brexit und Donald Trump gibt und uns von Seiten Frankreichs eine Marine Le Penn droht. Und das werfe ich ALLEN Parteien gleichermaßen vor: sie haben es kommen sehen und in unterschiedlichem Maße zugesehen oder weggeschaut, aber nichts unternommen, das Vertrauen derer zurückzugewinnen, die sich immer mehr von der Politik abgehängt fühlen. Wer vertritt mich, wenn es CDU, SPD, Die Grünen oder die Linke so offensichtlich nicht mehr tun wollen?

Wen wundert es dann, wenn ein mehr als Fünftel der Wähler eine "Alternative für Deutschland" wählen wollen? Viele werden mit schlechtem Gewissen den Rechtspopulisten ihre Stimme geben. Davor habe ich Angst, auch wenn ich zugeben muss, dass ich keine der etablierten Parteien ohne das geiche schlechte Gewissen wählen kann.

Hier sehe ich die einzige Chance gerade für die SPD: gebt zu, dass ihr die Augen veschlossen habt, gesteht ein, dass ihr den Blick auf die Bedürfnisse der Wähler vernachlässigt habt, dass ihr eine große Mitschuld am Entstehen und Aufstieg der AfD habt und geht spätestens nach einer Niederlage mit eurem "Ich-will-gar-nicht-Kanzler" Sigmar Gabriel wieder in die Opposition und kämpft um das Recht, euch wieder Volkspartei nennen zu dürfen, indem ihr auf die Sorgen und Nöte des Volkes hört, deren Vertreter ihr im Bundestag sein wollt.

Das ist ein Tipp, den ich allen Parteien nur ans Herz legen kann: hört auf euer Volk. Hört zu, reagiert auf ihre Sorgen und klärt sie darüber auf, was ihr für sie tut. Denn das was ihr da oben in Berlin tut, scheint viel mehr euch selbst und eurem Weiterkommen zu dienen.

Nehmt euch das zu Herzen.


Ein äußerst ratloser und besorgter Wähler




Freitag, 19. August 2016

Runde Rache (oder: Die Geschichte von der Null)

An einem lauschigen Abend im geheimnisvollen Orient erblickte sie auf einem feinen Bogen Pergament das Licht der Welt. Ein nachdenklich hingekritzelter Ring und obwohl sie die Welt erobern sollte und die Kunst des Rechnens revolutionieren, maß man ihr den Wert eines Nichts zu.

Und das konnte die kleine Null nicht einfach hinnehmen, ein wertloses Zeichen zu sein. Sie sann auf Rache dafür, dass man ihr so wenig Wert einräumte und klügelte einen Plan aus, wie sie den Menschen heimzahlen konnte, nicht wertgeschätzt zu werden.

Wie eine Schlingenfalle legte sie sich aus, um die Menschen zum Stolpern zu bringen. Sie stolperten über die Null in ihren Geldbörsen und auf ihren Konten. Und doch fand die unterschätzte Null noch eine andere Möglichkeit, sich Geltung zu verschaffen. Denn ohne sie ist eine Zahl nur eine Zahl, mit ihr aber, gewinnt sie an Bedeutung, verzehnfacht, verhundertfacht ihren Wert.


Und genau in dieser Erkenntnis erschuf sich die Null ihre größte Rache: sie erfand den „runden“ Geburtstag um die Menschen in regelmäßigen Abständen heimzusuchen und wurde so zum wahren Schrecken, auf dass sie nie wieder übersehen wird…

Montag, 18. Juli 2016

Zurück


Das grelle Licht der brennenden Mittagssonne brach unerbittlich in die Stille des menschenleeren Kreuzganges und malte mit den steinernen Säulen des Innenhofes gleichmäßige Muster auf den dunklen Granitboden. Der kühle Sandstein der Wände jedoch sperrte die sengende Hitze der Mittagsstunde aus. Das Kloster lag still und verlassen und nur das sanfte Tapp, Tapp seiner Schuhe auf dem steinernen Boden begleitete seine Schritte durch die endlosen Gänge der Anlage. 
 
Der ständige Wechsel zwischen gleißendem Licht und der überall zwischen den Steinsäulen lauernden Düsternis machte seinen geröteten Augen zu schaffen. Er fühlte sich lange schon zu alt für den Dienst in diesem verstaubten Museum. Die bedrückende Stille hatte sich nach der Katastrophe wie ein dichter Schleier über die ganze Welt gelegt und war auch durch die Zimmer und Korridore des ehemaligen Klosters eingezogen, als die Menschen ausblieben. Wem stand nach einem solchen Blutbad schon noch der Sinn nach Kunst und Architektur? Mit diesen finsteren Gedanken öffnete er den sperrigen Riegel an der schweren Eichentüre und stemmte sein ganzes Gewicht gegen das alle Holz, bis sie mit Knarzen und Quietschen den Weg in das ehemalige Dormitorium freigab. 
 
Die kalte Leuchtstoffröhre über dem großen Empfangstresen erreichte mit ihrem kläglichen Licht die hohe Gewölbedecke nicht und schaffte es nicht annähernd, den Raum mit Helligkeit zu fluten. Wie ein schmuckloser Altar stand der wuchtige Tresen in ihrem unwirklichen Lichtkegel. Irgendwo da draußen hatten Menschen sterben müssen und der Schock darüber ließ nun auch diesen Ort wie ausgestorben zurück. Die Zeit hatte einen Moment lang angehalten, als Explosionen die Stille zerrissen und die Welt in einen Schockzustand fiel. Doch während sich da draußen in den letzten Monaten das Leben wieder ein Mindestmaß an trotziger Selbstverständlichkeit erkämpft hatte, blieben diese Hallen stumm. 
 
Stumm wie sein Herz. Er hatte sich in die Stille dieses verlassenen Ortes geflüchtet, um den Schrecken daran zu hindern, von seinem Leben Besitz zu ergreifen. Er wollte nicht unter Menschen sein und so blieb er alleine. Mit sich selbst, seinen Gedanken und mit seinen Tränen, die längst seinen Blick verschleierten. Tod. Niemand anderer verstand sich so gut darauf, das Leben zu zerstören. Fanatische Menschen hatten seiner Frau das Leben genommen, doch es war ihr Tod, der ihm seines nahm. Wie sollte er damit leben können, wenn in den Leben der anderen bereits wieder so etwas wie Alltag eingekehrt war? 
 
Seufzend setzte er sich hinter die seither fast ungenutzte Kasse. Er kam sich winzig vor in diesem riesigen Raum, der seinem Leben so ähnlich war. Eine große Leere war auch in ihm. Leere und Dunkelheit. Er dachte darüber nach, wie lange dieses Kloster schon an seinem Ort stand. Es hatte das Kommen und Gehen so vieler Menschen erlebt, Verluste der Zeit und zweier Weltkriege. Es hatte Schaden genommen, wurde umgebaut und stand trotz allem was ihm widerfahren war noch immer hier. Auch er würde mit seinen Beschädigungen und den Veränderungen leben müssen, denn das Leben ging unbarmherzig weiter, so sehr er sich auch wünschte, es würde - für einen Moment wenigstens – innehalten. 
 
Mühsam stand er von seinem Stuhl auf, wischte sich die bitteren Tränen aus den Augen und stütze sich auf den Tresen. Das Leben musste weitergehen, wenn er die Mörder nicht gewinnen lassen wollte. Das Leben musste weiter gehen und jetzt war Zeit für seinen täglichen Rundgang. Er zog die schwere Türe hinter sich ins Schloss und wagte sich auf seine ersten Schritte zurück ins Leben.


Sonntag, 17. Juli 2016

Bärengeschichten...

Es knistert leise im Kamin
Ein glühend‘ Holzscheit vor sich hin.
Er spendet wohlig Wärme.
Und auf dem Sofa liegt ein Bär,
den nehme ich zum Kuscheln her.
Das ist wofür ich schwärme.

Wer einen Bären haben kann,
Der sollte sich nicht wehren
Wenn einer wirklich kuscheln kann
Dann sind das Kuschelbären!

In freier Wildbahn sind sie rar
Man muss ein bisschen jagen
Und Fallen stellen muss man gar
Und will’s auch nicht behagen.

Und wenn’s auch früher Mode war
Ihn flach vors Bett zu legen
So finden Bär’n es wunderbar
Man lässt sie einfach leben.

Auch ihre Haltung ist recht leicht
Und anspruchslos die Pflege
Bei meinem Bären hat’s gereicht
Komm nicht ihm ins Gehege.

Selbst wenn der Bär ganz kuschlig ist
Bleibt er ein Einzelgänger
Doch wenn du still und leise bist,
Dann kuschelt er auch länger.



Unwissenheit und Seufzer

Hier findet ihr ein Gedicht von Christian Morgenstern, von dem ich mich zu einem eigenen Gedicht habe inspirieren lassen. Gleiches gilt für das darauf folgende Gedicht von Rainer Maria Rilke...

Inspiration:
Der Seufzer
Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und träumte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.
Der Seufzer dacht an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein –
und er sank - und ward nimmer gesehen

Christian Morgenstern (1891 – 1914)

Ergebnis:
Lächelnde Liebe
Die Unwissenheit saß neben ihm
und lauschte seinen Scherzen
Sie rissen sie zum Lachen hin,
das schmeichelte seinem Herzen.
Könnt er nur locker – wie er scherzte -
auch von der Liebe schreiben!
Wünscht er sich doch, dass sie ihn herzte,
doch hüllte er sich in Schweigen.
So blieb Unwissenheit für ihn
das höchste der Gefühle.
Er schmachtet weiter vor sich hin,
erfand der Scherze viele.



Inspiration:

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

Rainer Maria Rilke ( 1875 – 1926)

Ergebnis:

Der Weihnachtsbaum

Ganz festlich gewandet in silber und blau,
bereit für das Fest der Feste.
„Ein Baum wie gemalt!“ sagt seine Frau
und drückt mit pompöser Geste
den kleinen Schalter in ihrer Hand
in stiller Andacht, doch diese schwand.
Sie wartet vergeblich auf Lichterglanz
denn dunkel blieb der Baum.
„Prüf doch die Lichterkette, Franz!“
schallte es durch den Raum.
Das Bücken gab seinen Knien den Rest,
doch der Stecker rettet Franz das Weihnachtsfest.



Samstag, 16. Juli 2016

Geburtstagssprüche und -gedichte



Und wieder ist ein Jahr vergangen,
das ist kein Grund zum traurig sein,
ein neues hat erst angefangen,
voll Lachen, Singen, Sonnenschein!

                  ***

Einmal im Jahr musst du’s ertragen,
dass jeder weiß wie alt du wirst.
Doch steht dir frei an andren Tagen
so alt zu sein, wie du dich fühlst!

                  *** 

Deines Lebens Winzer sein,
das heißt die Trauben hegen,
dann reifst du wie ein guter Wein,
sonst wirst du Essig geben.

                  *** 

Ist manchmal dir das Leben sauer,
bedenke stets: nichts ist von Dauer.
Selbst Gürkchen die in Essig liegen,
sind sie erst ihrem Glas entstiegen,
entwickeln sich zum Party-Hit.
Drum mach’s wie sie und feiere mit!

                  *** 

Es bringt ein jedes Lebensjahr
mal Sonnenschein, mal Regen
Und wenn ein Tag auch trübe war,
wird’s wieder Sonne geben.

                  *** 

Am Morgen stehst du älter auf,
als du ins Bett gegangen.
Das ist nun mal der Welten Lauf,
wir sind darin gefangen.
Damit das Aufsteh’n leichter fällt
und dir nicht gleich den Tag vergällt,
erdachte einst ein kluger Mann,
dass man Geburtstag feiern kann.
So bleibt ein einz’ger Tag im Jahr
zum älter werden übrig.
Den zu ertragen, das ist wahr,
ist nicht besonders schwierig!

Sonntag, 12. Juni 2016

Zwischen den Welten - ein etwas anderer Krimi (Intermezzo)

Irgendwie ist mit beim Schreiben die Geschichte ein bisschen in den Fantasy-Bereich herübergeschwappt... so ganz bin ich damit nicht zufrieden, aber ich will es den Lesern nicht vorenthalten und vielleicht bekomme ich ja in den Kommentaren ein bisschen Feedback, ob so ein Wechsel funktioniert oder ob ich es lieber lassen sollte:


Sie werden keine Hinweise finden. Er ist kein einfacher Mörder. Er ist ein Spieler, ein Sammler ein Sucher. Er hatte mich über Monate verfolgt, ausgekundschaftet, was ich tat, wer ich war und wie er an mich herankommen könnte. Ich passte exakt in sein Beuteschema: naiv, gutgläubig, alleinstehend und vor allen Dingen verliebt. Ich habe viel zu spät begriffen, dass ich in die Fänge eines Nephilim geraten war.

Der nächste Morgen kam für alle schneller als erwartet, denn es war spät geworden in den Archiven und zumindest Kommissar Zufall war gespannt, ob er die ersten Akten schon in der Postabteilung finden würde, wenn er ins Büro kam. Er musste zugeben, dass seine neue Partnerin ihm gefiel. Sie hatte einen scharfen Verstand und das nötige Gespür für solche Fälle. Und sie rüttelte ihn ein bisschen auf aus seinem üblichen Trott. Er war erstaunt, als er Dirk Brünn in seinem Büro antraf.
„Morgen.“
„Morgen, Peter.“
„Was gibt es? Du siehst ein bisschen beunruhigt aus.“
„Du erinnerst dich an das Haar?“
„Aus dem Fahrstuhlschacht? Ja. Was ist damit?“
„Wir konnten keine Treffer finden. Es ist nicht menschlich. Also jedenfalls nicht vollkommen menschlich.“
„Was meinst du damit?“
Der Kommissar nahm an seinem Schreibtisch Platz und schaltete die Kaffeemaschine ein. Der Forensiker schien noch nach den richtigen Worten zu suchen, als auch Claudia Röbel das Büro betrat.
„Guten Morgen ihr zwei, so früh schon so ernste Gesichter? Gibt es ein weiteres Opfer?“
„Mike wollte mir gerade erklären, dass unser verdächtiger nur zum Teil ein Mensch ist.“
„Was?“
Seine Kollegin sag ihn verdattert an. Dann räusperte sich der Chef der KTU.
„Ich habe die ganze Nacht durchgemacht. Ich habe die Untersuchung dreimal wiederholt und komme immer auf das gleiche Ergebnis: die DNA ist nicht zu 100% menschlich.“
Es herrschte einige Sekunden lang absolute Stille im Raum.
„Ich konnte die DNA zerlegen und die Hälfte ist menschlich. Es ist die DNA der Mutter. Die andere ist unbekannt, menschenähnlich und männlich, aber kein Mensch und auch kein Menschenaffe oder ähnliches. Ich habe so etwas noch nie gesehen und ich weiß nicht, was ich dazu in meinen Bericht schreiben soll. Wenn ich das so rein schreibe, wie es ist, wird man mich für bekloppt erklären und in Rente schicken.“
„Das Haar muss ja nicht von unserem Täter sein, es nutzen ja auch andere den Fahrstuhl. Nicht täglich, aber zumindest hin und wieder. Vielleicht sollten wir es einfach vergessen.“
Peter hielt seine Kollegin davon ab, etwas zu sagen und schüttete sich eine Tasse brühend heißen, starken Kaffee ein.
„Wie ihr meint. Ich schließe die Probe ein, sicher ist sicher.“
Damit verabschiedete sich der Kriminaltechniker von den beiden Kommissaren und verschwand aus dem Büro.
„Was hältst du davon Peter?“
„Ich weiß es nicht. Doch es mag mehr zwischen Himmel und Erde geben, als in unseren Schulbüchern geschrieben steht. So heißt es doch, oder? Und jetzt sehen wir erst mal ob eine der angeforderten Akten angekommen ist.“

Natürlich war seine Mutter ein Mensch. Engel können keine Kinder bekommen. Aber sie können welche zeugen, auch wenn es ihnen eigentlich verboten ist. Ich hatte mich früher einmal damit beschäftigt, aber als ich einem wahrhaften Sohn eines Engels begegnet bin, habe ich es nicht erkannt. Ich habe auch nicht an die Legenden geglaubt, aber ich tue es heute, hier, an diesem Ort zwischen allen Welten.

Er war allerdings kein Riese, wie es in den Geschichten heißt. Aber schön war er, mit dunklen Augen, in die man wie in einen See hineintauchen konnte und aus denen man erst wieder an das Tageslicht gelangte, wenn er es zuließ. Göttliche Kraft in einem menschlichen Körper mit einer durch die Sünde des Himmelsboten verdorbenen Seele. Die Macht sich jeden Menschen untertan zu machen, in dem man bedingungslose Liebe in ihm weckt, nur um ihn zu benutzen und wegzuwerfen.


Sonntag, 10. April 2016

Zwischen den Welten - ein etwas anderer Krimi (Teil 3)

Der Kommissar entschied sich dazu, die Treppe zu nehmen, um die Nachbarn zu befragen. Auf der obersten Etage gab es nur die Wohnung des Opfers und einen Maschinenraum, der wohl zum Fahrstuhl gehören musste. Wenn die anderen Wohnungen auch nur annähernd so ausgestattet waren, wie das Penthouse aus dem er gerade gekommen war, dann waren die Bewohner sicher nicht die üblichen Verdächtigen.

Die Treppe war sauber, aber man sah ihr an, dass sie nur selten benutzt wurde. Wenn der schrullige Hauswart immer mit im Aufzug fahren musste, um ihn zu bedienen, musste man davon ausgehen, dass der Täter dieses Treppenhaus benutzt hatte, um ungesehen in die oberste Etage zu kommen. Oder zumindest das Haus nach der Tat wieder zu verlassen. Er machte sich eine Notiz, dass er das Hausfaktotum unbedingt danach fragen musste, ob und vor allem wann das Opfer einen Besucher hatte. Immerhin konnte das der Mörder sein.

Ich hatte meinen Kommissar gerade eingeholt, als er bei meinen Lieblingsnachbarn klingelte. Es war die lautstarke Dame, die ihm die Türe öffnete und ihr Outfit hätte nicht passender sein können. Ein fast durchsichtiges Negligé in Blutrot. So viel will ich gar nicht sehen. Scheinbar leben die beiden wirklich nur irgendwo zwischen Bett und Küche.

Ich schwebte an ihr vorbei in die Wohnung um mich ein bisschen umzusehen, viel wird sie dem Kommissar eh nicht zu erzählen haben. Wer den ganzen Tag nur auf dem Rücken liegt, weiß allenfalls, wie es um die Beschaffenheit der Decke und der Matratze steht, aber nicht, was die Nachbarn so treiben. Was die beiden trieben, wusste wahrscheinlich das ganze Haus...

Peter Zufall hielt ihr seine Dienstmarke entgegen und versuchte, nicht zu genau hinzusehen, was bei der Durchsichtigkeit des knappen Stoffes einer Herausforderung gleichkam. Noch bevor sie das erste Mal den Mund öffnete, hatte sich der Kommissar schon ein erstes Urteil gebildet: die nicht ganz billige Spielgefährtin eines reichen Mannes. Und als sie das erste mal sprach, sah er sich bestätigt.
„Mein Name ist Zufall, ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen zu ihrem Nachbarn, Herrn Charon stellen.“
„Äh, wer ist'n das?“
„Der Herr, der über ihnen wohnt.“
„Den kennisch nich.“
„Und ihr... äh...
Sie drehte sich rum und brüllte in den Flur.
„Martin, komm mal her, hier ist ein Bulle der dich was fragen will!“
Es dauerte eine Weile, bis Martin sich etwas übergezogen hatte und zur Türe geeilt kam. Zum Schließen seines Bademantels hatte die Zeit allerdings ganz offensichtlich nicht gereicht und seine Unterwäsche hatte er verkehrt herum angezogen.
„Äh, ja bitte?“
„Kommissar Zufall, ich hätte da ein paar Fragen zu ihrem Nachbarn aus der obersten Etage.“
„Herr Charon? Was ist mit ihm?“
„Er ist tot. Können Sie mit etwas zu seinen Kontakten sagen? Bekam er öfter Besuch?“
„Wir haben ihn so gut wie nie zu Gesicht bekommen, Herr Charon war ein sehr zurückgezogen lebender Mensch.“
Die junge Dame begann kichernd an der Unterhose ihres Sugardaddys zu spielen, während der sich alle Mühe gab, nicht zu viel Freude darüber zu zeigen. Peter Zufall verkniff sich ein Grinsen.
„Hatte er zu irgendjemandem hier im Haus engeren Kontakt?“
„Ich glaube nicht. Wenn jemand etwas mehr über ihn weiß, dann vielleicht der Verwalter. Eigentlich ist er immer bestens über alles hier im Hause informiert.“
Der Kommissar bedankte sich für die Auskünfte und verabschiedete sich von den beiden, die es sehr eilig zu haben schienen, wieder in ihr Bett zu kommen, oder wo auch immer sonst sie ihre Spielwiese aufgeschlagen hatten.

Meine Güte, die beiden konnten ja nicht einmal während der Befragung die Finger voneinander lassen. Und sie hatte ihn schon aus seiner Unterhose geschält, bevor sie den Flur hinter sich gelassen hatten. Es war nicht zu übersehen, dass er schon wieder zu neuen Schandtaten bereit war und weil ich mir das nun wirklich nicht antun wollte, war ich dem Kommissar schon eine Etage vorausgeeilt. Noch so ein Vorteil davon tot zu sein, man kann Etagen einfach schwebend wechseln.

Unter den beiden nymphoman veranlagten Bettgymnasten wohnt ein älteres Ehepaar, die ganz offensichtlich bereits einen gewissen Grad der Taubheit erreicht haben, denn es dauerte eine ganze Weile, bis sie auf das wiederholte Klingeln des Ermittlers reagierten. Ihn hatte ich noch nie zuvor gesehen, aber ihr war ich ein oder zweimal in der Halle begegnet, während wir auf den Fahrstuhl warteten. Eine süße kleine, leicht vergessliche Dame.

Langsam öffnete sie die Türe.
„Ja bitte?“
„Guten Tag, Kommissar Zufall, Mordkommission.“
„Wer bitte?“
Er versuchte es etwas lauter.
„Kommissar Zufall von der Mordkommission. Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“
„Polizei? Meine Güte, was ist denn geschehen?“
„Einer Ihrer Nachbarn wurde tot aufgefunden, der Herr aus dem obersten Stock.“
„Oh, das tut mir leid, er war immer sehr freundlich, wenn wir uns im Fahrstuhl getroffen haben. Und er ist tot sagen Sie?“
„Ja, er wurde ermordet aufgefunden.“
„Ermordet? Wie schrecklich.“
Sie sah ängstlich in den Flur hinaus.
„Hier im Haus?“
„Ich befürchte ja. Können Sie mir irgendetwas über Herrn Charon sagen?“
„Nein, ich... also wir kannten ihn ja kaum. Ab und zu habe ich ihn unten in der Halle gesehen oder bin mit ihm im Fahrstuhl nach oben gefahren, aber das war auch schon alles.“
„Danke für die Auskunft, einen schönen Abend noch.“
Die Türe wurde sofort geschlossen und er konnte hören, wie der Schlüssel sich zweimal im Schloss drehte und wie ein schwerer Riegel vorgeschoben wurde. Es tat ihm ein bisschen leid, dass er der älteren Dame Angst gemacht hatte, aber er hätte sie ja schlecht belügen können.

Die Befragung der anderen Bewohner des Hauses hatte auch nichts ergeben. Keiner kannte den Mieter aus der obersten Etage genauer, einige wussten nicht mal, wie er heißt. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es Zeit würde, seine Kollegin abzuholen. Dann würde er den Verwalter morgen noch einmal sprechen. Sicher würde Cornelia auch dabei sein wollen. Doch jetzt galt es erst mal sie ein bisschen besser kennen zu lernen. Noch am Morgen hätte er nicht gedacht, dass er sich so schnell mit ihr verstehen würde. Irgendwie freute er sich auf den ruhigen Abend mit ihr. Jetzt wollte er noch schnell nach Hause, kurz unter die Dusche und etwas anderes anziehen, bevor er sie im Hotel abholen würde.

Ich sparte mir, den Kommissar zu begleiten. Ich war noch immer zu sehr fasziniert von meinen Nachbarn. Interessant, wie man als Leiche gleich die Leichen im Keller der anderen findet. Bei einigen der Hausbewohner hatte sich das Bild, das ich mir von ihnen gemacht hatte schlagartig geändert. Und ich hatte wirklich gedacht ich sei der einzige in diesem Haus mit dem ein oder anderen Geheimnis. Und mein Mörder war wohl das größte davon. Immerhin war er nicht zum ersten Mal bei mit gewesen, als er mich ins Jenseits befördert hatte.

Cornelia Röbel stand unschlüssig vor ihrem Schrank. Das Zimmer war wirklich ruhig und die Dusche hatte ihr auch gut getan, doch jetzt ärgerte sie sich ein bisschen, dass sie ihren dunklen Rock und die sexy Bluse doch nicht eingepackt hatte. Sie machte also das beste aus dem, was ihr Koffer enthalten hatte und war gerade fertig mit dem Anziehen, als es an ihrer Zimmertüre klopfte. Sie warf noch einen kurzen prüfenden Blick in den Spiegel, bevor sie einigermaßen zufrieden mit ihrem Aussehen ihrem neuen Kollegen die Türe öffnete.
„Hallo Peter. Na, wo wollen wir hin?“
„Na, deinem Outfit nach erwartest du ein bisschen mehr als die Kneipe ums Eck.“
Er grinste und bewunderte wie sie ihre Vorzüge reizvoll in Szene gesetzt hatte.
„Keine Sorge, das hatte ich auch gar nicht vor, ich will dir ein bisschen die Stadt zeigen, immerhin wirst du ja eine ganze Weile hier bleiben.“
Sie lächelte ihn an und nahm ihre Handtasche von der kleinen Anrichte im Flur, bevor sie sich bei ihm einhakte und die Türe hinter sich ins Schloss zog.
„Also? Wo geht es hin?“
„Lass dich überraschen.“
„Haben die Befragungen noch etwas ergeben?“
„Nichts neues. Und du kannst beruhigt sein, die einzig interessante Befragung steht noch aus. Dazu wollte ich dich morgen mit zum Hausverwalter nehmen, von den anderen Bewohnern wusste niemand etwas über das Privatleben unseres Opfers.“
Sie stieg zu ihm ins Auto und schnallte sich an, immerhin hatte sie gesehen, welchen Fahrstil ihr Kollege üblicherweise an den Tag legte, doch heute Abend fuhr er gesittet und hielt sich an alle Verkehrsregeln.
„Ich habe mir die Akte vorhin einmal genauer angesehen. Viele Informationen hast du ja noch nicht, aber eines ist mir doch aufgefallen: warum dieser Fundort? Das passt so gar nicht zu der Wohnung. Und wie hat er die Leiche aus der obersten Etage nach unten gebracht? Der Fahrstuhl kam doch sicher nicht in frage oder? Und 6 Etagen über das Treppenhaus... dann hätte man sicher irgendwelche Spuren finden müssen.“
„Genau. Der Fahrstuhl. Das ist irgendwie der Schlüssel zu diesem Fall. Unter anderem deshalb will ich morgen unbedingt noch einmal etwas länger mit dem Verwalter sprechen. Aber jetzt genug von der Arbeit, heute Abend nichts berufliches mehr. Heute möchte ich dich einfach etwas besser kennen lernen.“
Sie sah verlegen aus dem Fenster auf die vorbeigleitenden Fassaden und versuchte angestrengt nicht verlegen zu wirken.
Der Abend gestaltete sich doch noch recht locker und die beiden Ermittler fanden sehr schnell heraus, dass sie vieles miteinander gemeinsam hatten. Der Abend endete in einer sehr exklusiven Bar über den Dächern der Stadt. Nicht gerade billig, hier einen Drink einzunehmen, aber die Aussicht machte das Geld auf jeden Fall wieder wett.

Kurz vor 23 Uhr setzte er sie wieder vor dem Hotel ab und machte sich auf den Weg in seine Wohnung. Am nächsten Morgen stand ein wichtiger Termin für dieses Fall an und da wollte er unbedingt fit sein.

Während die beiden sich amüsierten, hatte ich mich auf die Suche nach meinem Mörder gemacht. Ihn zu finden war nicht schwer und ihm zu folgen noch weniger. Dass mir das hier im Reich der Toten leicht fällt, habe ich ja schon erzählt. Als ich ihn gefunden hatte, war ich ihm eine Weile gefolgt und dabei war er plötzlich stehen geblieben und hatte mich wissend lächelnd angesehen. Das hatte mich ein bisschen verunsichert, denn bisher hatte mich noch niemand sehen können. Erst als ich mich umdrehte, konnte ich sehen, dass sein Blick nicht mir galt. Er war schon auf der Suche nach seinem nächsten Opfer.

Da Cornelia gleich um die Ecke wohnte, hatten sie sich vor dem Hotel verabredet, um dann gemeinsam den Hausverwalter zu ihrem Opfer und seinen Gewohnheiten zu befragen. Beide erhofften sich davon ein paar neue Ermittlungsansätze. Allerdings liefen Sie als erstes wieder dem Hausmeister über den Weg.
„Mister Charon ist tot?“
„Ja. Er wurde tot im Seepark gefunden.“
„Traurig. Er wohnte schon lange hier.“
Cornelia kam eine Idee, vielleicht wusste der Hausmeister zumindest die Antwort auf eine ihrer Fragen.
„Sagen Sie mal, gibt es noch eine andere Möglichkeit in die oberen Etagen zu kommen, als der antike Fahrstuhl in der Halle und das Treppenhaus?“
„Sicher! Hinter den alten Gesindewohnungen gibt es einen Lastenaufzug. Aber der wird eigentlich nur benutzt, wenn einer der Mieter auszieht. Das letzte Mal ist sicher schon 2 Jahre her.“
„Danke für die Information, das könnte noch wichtig werden. Haben Sie einen Schlüssel zu dem Aufzug?“
„Nein, den hat der Verwalter unter Verschluss. Der Aufzugschacht ist von den Wohnungen aus nicht verriegelt, deshalb darf den Aufzug ohne Aufsicht niemand benutzen!“
Peter sah seine Kollegin erstaunt an. Sie hatte mit ihrer charmanten Art in wenigen Sekunden mehr Neuigkeiten in Erfahrung gebracht als er mit seinen Befragungen der Nachbarn am gestrigen Nachmittag. Er wartete bis sie in der Halle standen, bevor er sie darauf ansprach.
„Wie kamst du auf die Idee mit dem zweiten Lift?“
„Es musste eine dritte Lösung geben, denn der Fahrstuhl und die Treppe hatten wir doch schon ausgeschlossen, war einfach mal eine Frage ins Blaue.“
Sie klopften an der Türe des Hausverwalters und wurden nach einem kurzen Gespräch zu ihm hereingebeten. Doch nicht in seine Wohnung, sondern in einen Raum direkt hinter der Türe, der nach einem Büro aussah. Ordentlich aufgereihte Ordner in den Regalen und ein neuer PC auf dem Schreibtisch, was keiner von beiden erwartet hätte.
„Nehmen Sie doch Platz.“
„Danke.“
Peter Zufall übernahm die Befragung, während seine Partnerin den Befragten erst einmal nur beobachtete.
„Der Hausmeister sagte uns, dass es noch einen zweiten Aufzug gibt.“
„Das ist richtig, der alte Lastenaufzug, damit würden früher die Dienstbotentrakte der Wohnungen mit Waren beliefert. Heute nutzen wir ihn nur noch für den Möbeltransport bei Ein- und Auszügen.“
„Ist der Zugang zum Lastenaufzug für alle hier zugänglich?“
„Nein, der Zugang ist verschlossen. Er führt auf den Hinterhof und ist doppelt gesichert. Die Türe hat einen schweren Riegel und für das Schloss braucht man einen Spezialschlüssel.“
Bei seinen letzten Worten öffnete er eine Schublade des Schreibtisches und holte einen großen Schlüsselbund hervor. Zielstrebig griff er nach einem eigenartig geformten Schlüssel.
„Das ist der einzige Schlüsse für den Fahrstuhlschacht.“
„Hatte Herr Charon in letzter Zeit irgendwelchen Besuch? Jemand, der vielleicht öfter hier war?“
„Ich führe über so etwas nicht Buch.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“
„Nein, nicht dass ich wüsste. Mister Charon war immer sehr zurückhaltend und er war der einzige Mieter, der den Fahrstuhl auch selbst bedienen konnte. Ob er dabei immer alleine in seine Etage gefahren ist, kann ich Ihnen aber nicht sagen.“
Nun versuchte Cornelia ihr Glück mit dem sehr zurückhaltenden Mann.
„Wie war Mister Charon so?“
„Freundlich.“
„Gab es irgendwelche Besonderheiten?“
„Was meinen Sie?“
„Nun, irgendetwas, was Ihnen aufgefallen wäre, vielleicht etwas, was ihn von den anderen Mietern unterschied?“
„Mister Charon war ein sehr zurückhaltender Mensch, der immer höflich und freundlich war. Es gab keine Skandale, niemand hat sich je über ihn beschwert, was man von anderen Mietern leider nicht immer sagen kann.“
„Gibt es Familie, Angehörige von Herrn Charon?“
„Soweit mir bekannt ist nicht.“
„Hatte er eine Beziehung?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
Die Befragung brachte keine neuen Erkenntnisse, aber eines gab es jetzt noch zu tun. Und Peter Zufall kam sofort zur Sache.
„Wir würden uns gerne den Lastenaufzug einmal genauer ansehen. Möglicherweise muss die KTU da auch noch einmal dran.“
„Warum?“
„Mister Charon wurde in seiner Wohnung ermordet und seine Leiche aus dem Haus geschafft, ohne, dass es jemandem aufgefallen wäre. Über das Treppenhaus oder den Fahrstuhl in der Halle wäre das wohl nicht möglich.“

Nachdenklich begleitete der Verwalter die beiden Kommissare durch den Hinterhof zur Aufzugtüre, die tatsächlich gut verschlossen war. Nichts deutete darauf hin, dass das in letzter Zeit einmal anders gewesen sein sollte. Umständlich schloss er das Tor auf und ließ die beiden Ermittler in den Fahrstuhl steigen. Der Fahrstuhlkasten war zu zwei Seiten hin offen und hatte keine Wände. Im Inneren gab es ein kleines Tastenfeld, um die Etagen auszuwählen und als Cornelia auf den Knopf der sechsten Etage drückte, fuhr der Aufzug sanft und fast geräuschlos den Schacht hinauf.

Oben angekommen, öffnete der Verwalter eine Türe, die Peter Zufall von innen für die Türe einer Vorratskammer gehalten hatte. Sie lag genau zwischen der kleinen Küche und den angrenzenden Personalzimmern.
„Sagen Sie, hat jemand hier im Haus noch Angestellte? Zimmermädchen, Koch oder Butler?“
„Nein, die Zeiten sind leider längst vorbei. Wir haben eine Reinigungsfirma, die die gemeinschaftlich genutzten Räume, die Flure und Treppen putzt, aber hier lebendes Personal hat heute keiner unserer Mieter mehr.“
„Nun, dann werde ich nachher die KTU noch einmal vorbeischicken müssen, halten Sie bitte den Fahrstuhl abgeschlossen, bis die Kollegen hier alles gesichert haben, was sich vielleicht an Spuren finden lässt.“
„Es kann niemand diesen Aufzug benutzt haben, Herr Kommissar. Ohne meinen Schlüssel kommt niemand hier hin.“
„Es gibt keinen Ersatzschlüssel? Ganz sicher?“
„Es wäre mir neu, wenn es noch einen zweiten Schlüssel gäbe und diesen hier hüte ich wie meinen eigenen Augapfel. Er liegt immer in der verschlossenen Schublade meines Schreibtisches. Und auch das Büro ist sorgsam verschlossen, wenn ich es nicht benutze.“
Die beiden glaubten ihm sofort. Er war noch von der alten Schule, die besonders ordentlich und fest in ihren Arbeitsabläufen waren. Und als Mörder konnte sich das Ermittlerteam diesen Mann auch beim besten Willen nicht vorstellen.

Als sie wieder nach unten gefahren waren, schauten die beiden dem Hausverwalter noch beim Abschließen der Türe zu und verabschiedeten sich dann noch einmal mit dem Hinweis, die Türe verschlossen zu lassen, bis die Kollegen der Kriminaltechnischen Untersuchung kamen, um Beweise zu sichern, falls sich dort welche finden ließen.

Sie verließen das Gebäude durch den Haupteingang und wanderten um das Haus herum, um sich den Zugang zum Hinterhof genauer anzusehen. Im Nachbarhaus war ein großes unverschlossenes Tor, das auf den Hof führte, der sich hinter insgesamt sechs Häusern erstreckte und von einigen der Mieter wohl als Parkplatz genutzt wurde, aber auch zwei Lieferwagen waren dort geparkt. Einer davon wurde gerade mit Kisten beladen.
„Da drüben, Peter.“
„Ja, ich sehe es. Scheint hier Alltag zu sein, dass etwas aus- oder eingeladen wird. Das dürfe es unserem Mörder leicht gemacht haben. Aus dem Fahrstuhl heraus und direkt in einen Wagen. Und dann richtig Seepark.“
„Tja, das Wie ist also inzwischen ziemlich klar, was uns noch fehlt ist das Wer und das Warum.“
Peter Zufall rief Dirk Brünn an und bestellte ihn zur Überprüfung des Lastenaufzuges noch einmal an den Tatort.

Dieser Moment in dem ich dachte, er könne mich sehen, hatte mich aus dem Konzept gebracht. Dabei konnte er mir doch jetzt nicht mehr gefährlich werden. Ich meine, er hatte mich umgebracht, was wollte er also mehr tun als das? Ich erholte mich schnell von dem Schock und folgte ihm durch die Nacht. Vielleicht konnte ich verhindern, dass er ein neues Opfer findet. Zumindest wollte ich es ihm so schwer wie möglich machen. Allerdings hatte ich meine Zeit an ihn verschwendet, denn ganz offensichtlich hatte er das richtige Opfer noch nicht gefunden und war an anderen Menschen denen er begegnete nicht interessiert.

Erst in den frühen Morgenstunden hatte er sich in seine derzeitige Wohnung zurückgezogen und so kannte ich zumindest seinen Unterschlupf, vielleicht würde das noch nützlich sein, doch vorerst schien er sich erst einmal ausruhen zu wollen. Als Toter braucht man keinen Schlaf, also machte ich mich als nächstes auf die Suche nach meinen beiden Polizisten und fand sie im Hinterhof meines Wohnhauses. Sie hatten also inzwischen herausgefunden wie meine Leiche aus der Wohnung geschafft worden war. Das beruhigte mich, denn damit waren wir schon einen ganzen Schritt weiter auf dem Weg der Aufklärung meines Todes. Ich folgte den beiden aufs Präsidium und belauschte neugierig ihre Gespräche zu meiner Akte.

Peter und Cornelia waren ins Büro gefahren, wo sie auf ihren Schreibtischen die ersten Ergebnisse der Forensiker vorfanden. Allerdings war die Masse an Beweismaterial einfach zu groß, um schon einen abschließenden Bericht zum Tatort zu haben. Doch die beiden waren dankbar für jeden noch so keinen Ermittlungsansatz den sie in den Akten vielleicht finden würden.
„Das sieht nach einer sehr brutalen Art aus einen Menschen zu töten.“
„Ja, aber das hatte ich nach dem Fund der Leiche schon gedacht. So viele Verletzungen hab ich noch nie an einer einzigen Leiche gesehen.“
„Laut KTU gibt es keinerlei Einbruchsspuren, was bedeutet, dass das Opfer seinen Mörder kannte. Hat er ihn selbst mit in seine Wohnung gebracht?“
„Davon muss man ausgehen. Obwohl... der Lastenaufzug wäre auch eine Möglichkeit ungesehen in die Wohnung zu gelangen.“
„Wenn die Türe im Hinterhof nicht wäre.“
„Da die Leiche aber doch nur so aus der Wohnung geschafft worden sein kann, muss der Täter einen Schlüssel haben. Vielleicht gibt es eben doch einen Zweitschlüssel für den Aufzugschacht.“
„Noch haben wie keinen Beweis, dass unsere Theorie stimmt. Warten wir mal ab, was Dirk nachher zu den Spuren zu sagen hat, wenn es denn überhaupt welche gibt.“
Cornelia beugte sich über die Akte und las jedes Wort noch einmal. Dabei versuchte sie sich die Tat vorzustellen, die zu den Spuren geführt hatte. Die Verstümmelungen, die Schnitte, das viele Blut. Der Tatort und der Fundort. Das alles musste doch einen Grund haben.
„Warum hat er die Leiche im Seepark abgelegt, aber den Tatort unberührt gelassen? Das macht doch keinen Sinn. Dann hätte er doch die Leiche auch einfach liegen lassen können. So schnell hätte die doch niemand gefunden.“
„Vielleicht doch. Der Geruch der Verwesung wäre vielleicht den Nachbarn aufgefallen.“
„Aber die Leiche war doch nicht vergraben oder? Sie lag doch einfach nur im Unterholz des Parks oder?“
„Ja, warum?“
„Das ergibt alles keinen Sinn. Ein ungereinigter Tatort, eine weggeschaffte Leiche, die aber dann nicht einmal wirklich versteckt wird. Wenn ich nicht entdeckt werden will, dann lasse ich die Leiche verschwinden und reinige den Tatort. Hätte der Täter das getan, würden wir nicht ermitteln, denn es gäbe keinen Fall. Und selbst wenn irgendwann jemand das Opfer als vermisst gemeldet hätte, ohne die Leiche wären wir doch aufgeschmissen...“
„Du hast Recht. Das ergibt alles keinen wirklichen Sinn.“

Als ob ein tieferer Sinn hinter meinem Tod stecken würde. Ich bin tot, weil jemand seinen Spaß daran hatte. Er hatte kein anderes Motiv als einfach jemanden sterben zu sehen. Aber wie kann ich das meinen beiden Kriminalisten klar machen? Vielleicht hätte ich die Sache mit dem Besessen sein inzwischen doch einmal ein bisschen über sollen. Es war zum Verzweifeln, den beiden dabei zuzusehen, wie sie keinen Schritt weiterkamen und gleichzeitig zu wissen, dass mein Mörder schon wieder nach einem neuen Opfer suchte.

Cornelia Röbel machte sich gerade Notizen, als ihr eine Idee kam.
„Versuchen wir es mal umgekehrt, Peter!“
„Umgekehrt?“
„Ja, schließen wir aus, was auf keinen Fall infrage kommt, vielleicht bringt uns das was übrig bleibt auf eine heiße Spur.“
„Gut. Raubmord lässt sich ausschließen. Die Wohnung war voller Kunstwerke und teurer Elektrogeräte und es lag ein ganzes Bündel Geldscheine in seiner Kommode. Wenn es um Raub gegangen wäre, dann wäre nichts davon noch an seinem Platz.“
„Es gibt keinerlei Hinweis auf eine persönliche Beziehung, also können wir einen Beziehungsmord auch ausschließen. Keine Rache, keine verschmähte Liebe, kein Scheidungskrieg, nichts greifbares.“
„Stop! Rache würde ich erst einmal nicht ausschließen wollen. Alles an diesem Tatort schreit geradezu, dass Hass und Rache eine Rolle spielen könnten.“
„Ich kann in seinen Unterlagen nicht den geringsten Hinweis darauf finden, dass er irgendwelche Feinde hatte.“
„Dazu könne wir wahrscheinlich nichts sagen. Jedenfalls noch nicht. Ich glaube, wir wissen einfach zu wenig über Mister Charon, um das ausschließen zu können.“
„Ritualmord?“
„Keine der üblichen Symbole oder Blutschmierereien an den Wänden, keine Pentagramme, Voodoo oder andere magische Zeichen in den Räumen oder an der Leiche. Selbst die Verletzungen konnte unser Forensiker Dirk nicht in irgendeinen Zusammenhang mit etwas Okkultem bringen. Ich glaube das ist eine Sackgasse.“
„Also Ritualmord, Beziehungstat und Raum schließen wir erst einmal aus?“
„Was bleibt dann?“
„Ich sehe da einfach kein Motiv, aber es muss eins geben. Dieser Mord war so brutal, es muss etwas persönliches sein zwischen dem Opfer und seinem Mörder.“
Die beiden grübelten verzweifelt über alle möglichen Motive nach, aber ohne weitere Hinweise, irgendwelche Spuren, einen möglichen Verdächtigen hatten sie einfach keinen Ansatzpunkt mehr. Dieser Fall war zum Verzweifeln, selbst die Identität und der Tatort waren einzig einem Zufall zu verdanken. Und das frustrierte den erfahrenen Ermittler und seine Kollegin zunehmend.

Ich hatte sie meine Leiche finden lassen, ihnen geholfen meine Identität herauszufinden und dann den Tatort entdecken zu können, aber jetzt wusste ich einfach nicht weiter. Wie sollte ich ihnen helfen? Ich kannte meinen Mörder, wusste sogar wo er sich gerade aufhielt und dass er ein neues Opfer suchte, aber ich konnte es den beiden nicht einfach sagen. Zum ersten Mal seit meinem Tod hatte ich das Gefühl in der Hölle zu sein.

Der Forensiker Dirk Brünn klopfte an die Türe und brachte den beiden seine neuesten Ergebnisse. Peter Zufall hatte das Gefühl, dass es an seiner neuen Kollegin lag, dass der sonst so an sein eigenes Reich gefesselte Leiter der Forensik aus den Katakomben in den zweiten Stock kam.
„Ich hab hier was für euch. Der Lastenaufzug war gereinigt worden, aber zwischen dem vierten und fünften Stock habe ich Blut an der Wand des Schachts gefunden und noch etwas: ein Haar, dass nicht dem Opfer gehört. Dunkelbraun, männlich, keine Treffer in den Datenbanken.“
„Also suchen wir nach einem dunkelhaarigen Mann. Das halbiert unsere Verdächtigen.“
„Spar dir den Sarkasmus, Peter.“
„Das sagst du so einfach, Dirk, dieser Fall ist zum Verzweifeln.“
„Sag das nicht, Du hast bisher noch jeden deiner Fälle gelöst, außerdem kann ich euch mit noch ein paar anderen Details behilflich sein, was die Tat und den Tatablauf angeht. Das Opfer wurde über mehrere Tage gequält und verletzt, bevor der Täter ihn letztendlich umbrachte. Da ist ein Sadist am Werk, gegen der Marquis de Sade ein Waisenknabe ist. Wenn ihr mich fragt, dann war die Qual seines Opfers der Motiv für diesen Mord.“
Nach dieser Information herrschte Schweigen in dem kleinen Büroraum. Aber schnell war den beiden Kommissaren klar, dass dieses Motiv perfekt in das Bild des Mordes passte. Cornelia war die erste, die ihre Gedanken in Worte fasste.
„Dann hat er vielleicht schon vorher gemordet.“
„Ja. So wie der Tatort aussah ganz sicher.“
„Und so wie die Leiche zugerichtet war erst recht, denn er wusste genau, wie weit die Schnitte gehen durften ohne das Opfer sofort zu töten.“
Wieder war es Cornelia, die einen weiteren wichtigen Punkt zur Sprache brachte.
„Er hat keine Angst erwischt zu werden. Er weiß genau was er tut und wenn ihn nichts mit seinen Opfern verbindet, wird es schwer für uns, ihn zu finden.“
„Wir sollten in den Akten der offenen Fälle nachsehen. Fälle mit besonderer Brutalität und Grausamkeit. Es muss vorher schon Opfer gegeben haben.“
„Dann schmeiß deinen Rechner mal an, Peter, ich mache mich wieder auf in die Forensik.“

Ja, es musste andere wie mich geben. Andere, die er verzaubert hat, die er manipuliert hat. In deren Leben er sich eingeschlichen hat und die am Ende mit dem Tod dafür bezahlen mussten, dass sie ihn in ihr Leben gelassen hatten. Das traf mich wie ein Schlag und machte mir klar, warum ich hier war. Ich hatte eine Aufgabe, ich musste zwei guten Ermittlern dabei helfen ihn zur Strecke zu bringen. Deshalb war ich hier zwischen den Welten.

Sie verbrachten den ganzen Tag vor dem Rechner und in den Archiven und als die Sonne unterging hatten sie vier weitere Fälle gefunden, die in das Muster passten. Einer davon hier, die anderen drei über das ganze Land verteilt. Der älteste bereits zehn Jahre her. Es musste noch andere geben, aber viele kleinere Städte hatten nicht die technischen Mittel, und das Personal all ihre Fälle in das System einzugeben.
„Wir suchen einen Serienmörder.“
„Ja, eindeutig, Cornelia. Ich werde die Unterlagen zu all dieses Fällen anfordern, vielleicht bekommen wir so genug Informationen zusammen, um einen Verdächtigen zu finden. Keiner der Fälle ist aufgeklärt, es gab nie einen Verdächtigen, aber vielleicht gibt es dort auch Spuren, wie unser Haar.“
„Das wäre aber wirklich ein Glückstreffer.“
„Nein, so wenig wie er darauf achtet unentdeckt zu bleiben, muss es einfach andere Hinweise geben!“


FORTSETZUNG FOLGT...