Montag, 18. Juli 2016

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Das grelle Licht der brennenden Mittagssonne brach unerbittlich in die Stille des menschenleeren Kreuzganges und malte mit den steinernen Säulen des Innenhofes gleichmäßige Muster auf den dunklen Granitboden. Der kühle Sandstein der Wände jedoch sperrte die sengende Hitze der Mittagsstunde aus. Das Kloster lag still und verlassen und nur das sanfte Tapp, Tapp seiner Schuhe auf dem steinernen Boden begleitete seine Schritte durch die endlosen Gänge der Anlage. 
 
Der ständige Wechsel zwischen gleißendem Licht und der überall zwischen den Steinsäulen lauernden Düsternis machte seinen geröteten Augen zu schaffen. Er fühlte sich lange schon zu alt für den Dienst in diesem verstaubten Museum. Die bedrückende Stille hatte sich nach der Katastrophe wie ein dichter Schleier über die ganze Welt gelegt und war auch durch die Zimmer und Korridore des ehemaligen Klosters eingezogen, als die Menschen ausblieben. Wem stand nach einem solchen Blutbad schon noch der Sinn nach Kunst und Architektur? Mit diesen finsteren Gedanken öffnete er den sperrigen Riegel an der schweren Eichentüre und stemmte sein ganzes Gewicht gegen das alle Holz, bis sie mit Knarzen und Quietschen den Weg in das ehemalige Dormitorium freigab. 
 
Die kalte Leuchtstoffröhre über dem großen Empfangstresen erreichte mit ihrem kläglichen Licht die hohe Gewölbedecke nicht und schaffte es nicht annähernd, den Raum mit Helligkeit zu fluten. Wie ein schmuckloser Altar stand der wuchtige Tresen in ihrem unwirklichen Lichtkegel. Irgendwo da draußen hatten Menschen sterben müssen und der Schock darüber ließ nun auch diesen Ort wie ausgestorben zurück. Die Zeit hatte einen Moment lang angehalten, als Explosionen die Stille zerrissen und die Welt in einen Schockzustand fiel. Doch während sich da draußen in den letzten Monaten das Leben wieder ein Mindestmaß an trotziger Selbstverständlichkeit erkämpft hatte, blieben diese Hallen stumm. 
 
Stumm wie sein Herz. Er hatte sich in die Stille dieses verlassenen Ortes geflüchtet, um den Schrecken daran zu hindern, von seinem Leben Besitz zu ergreifen. Er wollte nicht unter Menschen sein und so blieb er alleine. Mit sich selbst, seinen Gedanken und mit seinen Tränen, die längst seinen Blick verschleierten. Tod. Niemand anderer verstand sich so gut darauf, das Leben zu zerstören. Fanatische Menschen hatten seiner Frau das Leben genommen, doch es war ihr Tod, der ihm seines nahm. Wie sollte er damit leben können, wenn in den Leben der anderen bereits wieder so etwas wie Alltag eingekehrt war? 
 
Seufzend setzte er sich hinter die seither fast ungenutzte Kasse. Er kam sich winzig vor in diesem riesigen Raum, der seinem Leben so ähnlich war. Eine große Leere war auch in ihm. Leere und Dunkelheit. Er dachte darüber nach, wie lange dieses Kloster schon an seinem Ort stand. Es hatte das Kommen und Gehen so vieler Menschen erlebt, Verluste der Zeit und zweier Weltkriege. Es hatte Schaden genommen, wurde umgebaut und stand trotz allem was ihm widerfahren war noch immer hier. Auch er würde mit seinen Beschädigungen und den Veränderungen leben müssen, denn das Leben ging unbarmherzig weiter, so sehr er sich auch wünschte, es würde - für einen Moment wenigstens – innehalten. 
 
Mühsam stand er von seinem Stuhl auf, wischte sich die bitteren Tränen aus den Augen und stütze sich auf den Tresen. Das Leben musste weitergehen, wenn er die Mörder nicht gewinnen lassen wollte. Das Leben musste weiter gehen und jetzt war Zeit für seinen täglichen Rundgang. Er zog die schwere Türe hinter sich ins Schloss und wagte sich auf seine ersten Schritte zurück ins Leben.


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