Sonntag, 10. April 2016

Zwischen den Welten - ein etwas anderer Krimi (Teil 3)

Der Kommissar entschied sich dazu, die Treppe zu nehmen, um die Nachbarn zu befragen. Auf der obersten Etage gab es nur die Wohnung des Opfers und einen Maschinenraum, der wohl zum Fahrstuhl gehören musste. Wenn die anderen Wohnungen auch nur annähernd so ausgestattet waren, wie das Penthouse aus dem er gerade gekommen war, dann waren die Bewohner sicher nicht die üblichen Verdächtigen.

Die Treppe war sauber, aber man sah ihr an, dass sie nur selten benutzt wurde. Wenn der schrullige Hauswart immer mit im Aufzug fahren musste, um ihn zu bedienen, musste man davon ausgehen, dass der Täter dieses Treppenhaus benutzt hatte, um ungesehen in die oberste Etage zu kommen. Oder zumindest das Haus nach der Tat wieder zu verlassen. Er machte sich eine Notiz, dass er das Hausfaktotum unbedingt danach fragen musste, ob und vor allem wann das Opfer einen Besucher hatte. Immerhin konnte das der Mörder sein.

Ich hatte meinen Kommissar gerade eingeholt, als er bei meinen Lieblingsnachbarn klingelte. Es war die lautstarke Dame, die ihm die Türe öffnete und ihr Outfit hätte nicht passender sein können. Ein fast durchsichtiges Negligé in Blutrot. So viel will ich gar nicht sehen. Scheinbar leben die beiden wirklich nur irgendwo zwischen Bett und Küche.

Ich schwebte an ihr vorbei in die Wohnung um mich ein bisschen umzusehen, viel wird sie dem Kommissar eh nicht zu erzählen haben. Wer den ganzen Tag nur auf dem Rücken liegt, weiß allenfalls, wie es um die Beschaffenheit der Decke und der Matratze steht, aber nicht, was die Nachbarn so treiben. Was die beiden trieben, wusste wahrscheinlich das ganze Haus...

Peter Zufall hielt ihr seine Dienstmarke entgegen und versuchte, nicht zu genau hinzusehen, was bei der Durchsichtigkeit des knappen Stoffes einer Herausforderung gleichkam. Noch bevor sie das erste Mal den Mund öffnete, hatte sich der Kommissar schon ein erstes Urteil gebildet: die nicht ganz billige Spielgefährtin eines reichen Mannes. Und als sie das erste mal sprach, sah er sich bestätigt.
„Mein Name ist Zufall, ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen zu ihrem Nachbarn, Herrn Charon stellen.“
„Äh, wer ist'n das?“
„Der Herr, der über ihnen wohnt.“
„Den kennisch nich.“
„Und ihr... äh...
Sie drehte sich rum und brüllte in den Flur.
„Martin, komm mal her, hier ist ein Bulle der dich was fragen will!“
Es dauerte eine Weile, bis Martin sich etwas übergezogen hatte und zur Türe geeilt kam. Zum Schließen seines Bademantels hatte die Zeit allerdings ganz offensichtlich nicht gereicht und seine Unterwäsche hatte er verkehrt herum angezogen.
„Äh, ja bitte?“
„Kommissar Zufall, ich hätte da ein paar Fragen zu ihrem Nachbarn aus der obersten Etage.“
„Herr Charon? Was ist mit ihm?“
„Er ist tot. Können Sie mit etwas zu seinen Kontakten sagen? Bekam er öfter Besuch?“
„Wir haben ihn so gut wie nie zu Gesicht bekommen, Herr Charon war ein sehr zurückgezogen lebender Mensch.“
Die junge Dame begann kichernd an der Unterhose ihres Sugardaddys zu spielen, während der sich alle Mühe gab, nicht zu viel Freude darüber zu zeigen. Peter Zufall verkniff sich ein Grinsen.
„Hatte er zu irgendjemandem hier im Haus engeren Kontakt?“
„Ich glaube nicht. Wenn jemand etwas mehr über ihn weiß, dann vielleicht der Verwalter. Eigentlich ist er immer bestens über alles hier im Hause informiert.“
Der Kommissar bedankte sich für die Auskünfte und verabschiedete sich von den beiden, die es sehr eilig zu haben schienen, wieder in ihr Bett zu kommen, oder wo auch immer sonst sie ihre Spielwiese aufgeschlagen hatten.

Meine Güte, die beiden konnten ja nicht einmal während der Befragung die Finger voneinander lassen. Und sie hatte ihn schon aus seiner Unterhose geschält, bevor sie den Flur hinter sich gelassen hatten. Es war nicht zu übersehen, dass er schon wieder zu neuen Schandtaten bereit war und weil ich mir das nun wirklich nicht antun wollte, war ich dem Kommissar schon eine Etage vorausgeeilt. Noch so ein Vorteil davon tot zu sein, man kann Etagen einfach schwebend wechseln.

Unter den beiden nymphoman veranlagten Bettgymnasten wohnt ein älteres Ehepaar, die ganz offensichtlich bereits einen gewissen Grad der Taubheit erreicht haben, denn es dauerte eine ganze Weile, bis sie auf das wiederholte Klingeln des Ermittlers reagierten. Ihn hatte ich noch nie zuvor gesehen, aber ihr war ich ein oder zweimal in der Halle begegnet, während wir auf den Fahrstuhl warteten. Eine süße kleine, leicht vergessliche Dame.

Langsam öffnete sie die Türe.
„Ja bitte?“
„Guten Tag, Kommissar Zufall, Mordkommission.“
„Wer bitte?“
Er versuchte es etwas lauter.
„Kommissar Zufall von der Mordkommission. Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“
„Polizei? Meine Güte, was ist denn geschehen?“
„Einer Ihrer Nachbarn wurde tot aufgefunden, der Herr aus dem obersten Stock.“
„Oh, das tut mir leid, er war immer sehr freundlich, wenn wir uns im Fahrstuhl getroffen haben. Und er ist tot sagen Sie?“
„Ja, er wurde ermordet aufgefunden.“
„Ermordet? Wie schrecklich.“
Sie sah ängstlich in den Flur hinaus.
„Hier im Haus?“
„Ich befürchte ja. Können Sie mir irgendetwas über Herrn Charon sagen?“
„Nein, ich... also wir kannten ihn ja kaum. Ab und zu habe ich ihn unten in der Halle gesehen oder bin mit ihm im Fahrstuhl nach oben gefahren, aber das war auch schon alles.“
„Danke für die Auskunft, einen schönen Abend noch.“
Die Türe wurde sofort geschlossen und er konnte hören, wie der Schlüssel sich zweimal im Schloss drehte und wie ein schwerer Riegel vorgeschoben wurde. Es tat ihm ein bisschen leid, dass er der älteren Dame Angst gemacht hatte, aber er hätte sie ja schlecht belügen können.

Die Befragung der anderen Bewohner des Hauses hatte auch nichts ergeben. Keiner kannte den Mieter aus der obersten Etage genauer, einige wussten nicht mal, wie er heißt. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es Zeit würde, seine Kollegin abzuholen. Dann würde er den Verwalter morgen noch einmal sprechen. Sicher würde Cornelia auch dabei sein wollen. Doch jetzt galt es erst mal sie ein bisschen besser kennen zu lernen. Noch am Morgen hätte er nicht gedacht, dass er sich so schnell mit ihr verstehen würde. Irgendwie freute er sich auf den ruhigen Abend mit ihr. Jetzt wollte er noch schnell nach Hause, kurz unter die Dusche und etwas anderes anziehen, bevor er sie im Hotel abholen würde.

Ich sparte mir, den Kommissar zu begleiten. Ich war noch immer zu sehr fasziniert von meinen Nachbarn. Interessant, wie man als Leiche gleich die Leichen im Keller der anderen findet. Bei einigen der Hausbewohner hatte sich das Bild, das ich mir von ihnen gemacht hatte schlagartig geändert. Und ich hatte wirklich gedacht ich sei der einzige in diesem Haus mit dem ein oder anderen Geheimnis. Und mein Mörder war wohl das größte davon. Immerhin war er nicht zum ersten Mal bei mit gewesen, als er mich ins Jenseits befördert hatte.

Cornelia Röbel stand unschlüssig vor ihrem Schrank. Das Zimmer war wirklich ruhig und die Dusche hatte ihr auch gut getan, doch jetzt ärgerte sie sich ein bisschen, dass sie ihren dunklen Rock und die sexy Bluse doch nicht eingepackt hatte. Sie machte also das beste aus dem, was ihr Koffer enthalten hatte und war gerade fertig mit dem Anziehen, als es an ihrer Zimmertüre klopfte. Sie warf noch einen kurzen prüfenden Blick in den Spiegel, bevor sie einigermaßen zufrieden mit ihrem Aussehen ihrem neuen Kollegen die Türe öffnete.
„Hallo Peter. Na, wo wollen wir hin?“
„Na, deinem Outfit nach erwartest du ein bisschen mehr als die Kneipe ums Eck.“
Er grinste und bewunderte wie sie ihre Vorzüge reizvoll in Szene gesetzt hatte.
„Keine Sorge, das hatte ich auch gar nicht vor, ich will dir ein bisschen die Stadt zeigen, immerhin wirst du ja eine ganze Weile hier bleiben.“
Sie lächelte ihn an und nahm ihre Handtasche von der kleinen Anrichte im Flur, bevor sie sich bei ihm einhakte und die Türe hinter sich ins Schloss zog.
„Also? Wo geht es hin?“
„Lass dich überraschen.“
„Haben die Befragungen noch etwas ergeben?“
„Nichts neues. Und du kannst beruhigt sein, die einzig interessante Befragung steht noch aus. Dazu wollte ich dich morgen mit zum Hausverwalter nehmen, von den anderen Bewohnern wusste niemand etwas über das Privatleben unseres Opfers.“
Sie stieg zu ihm ins Auto und schnallte sich an, immerhin hatte sie gesehen, welchen Fahrstil ihr Kollege üblicherweise an den Tag legte, doch heute Abend fuhr er gesittet und hielt sich an alle Verkehrsregeln.
„Ich habe mir die Akte vorhin einmal genauer angesehen. Viele Informationen hast du ja noch nicht, aber eines ist mir doch aufgefallen: warum dieser Fundort? Das passt so gar nicht zu der Wohnung. Und wie hat er die Leiche aus der obersten Etage nach unten gebracht? Der Fahrstuhl kam doch sicher nicht in frage oder? Und 6 Etagen über das Treppenhaus... dann hätte man sicher irgendwelche Spuren finden müssen.“
„Genau. Der Fahrstuhl. Das ist irgendwie der Schlüssel zu diesem Fall. Unter anderem deshalb will ich morgen unbedingt noch einmal etwas länger mit dem Verwalter sprechen. Aber jetzt genug von der Arbeit, heute Abend nichts berufliches mehr. Heute möchte ich dich einfach etwas besser kennen lernen.“
Sie sah verlegen aus dem Fenster auf die vorbeigleitenden Fassaden und versuchte angestrengt nicht verlegen zu wirken.
Der Abend gestaltete sich doch noch recht locker und die beiden Ermittler fanden sehr schnell heraus, dass sie vieles miteinander gemeinsam hatten. Der Abend endete in einer sehr exklusiven Bar über den Dächern der Stadt. Nicht gerade billig, hier einen Drink einzunehmen, aber die Aussicht machte das Geld auf jeden Fall wieder wett.

Kurz vor 23 Uhr setzte er sie wieder vor dem Hotel ab und machte sich auf den Weg in seine Wohnung. Am nächsten Morgen stand ein wichtiger Termin für dieses Fall an und da wollte er unbedingt fit sein.

Während die beiden sich amüsierten, hatte ich mich auf die Suche nach meinem Mörder gemacht. Ihn zu finden war nicht schwer und ihm zu folgen noch weniger. Dass mir das hier im Reich der Toten leicht fällt, habe ich ja schon erzählt. Als ich ihn gefunden hatte, war ich ihm eine Weile gefolgt und dabei war er plötzlich stehen geblieben und hatte mich wissend lächelnd angesehen. Das hatte mich ein bisschen verunsichert, denn bisher hatte mich noch niemand sehen können. Erst als ich mich umdrehte, konnte ich sehen, dass sein Blick nicht mir galt. Er war schon auf der Suche nach seinem nächsten Opfer.

Da Cornelia gleich um die Ecke wohnte, hatten sie sich vor dem Hotel verabredet, um dann gemeinsam den Hausverwalter zu ihrem Opfer und seinen Gewohnheiten zu befragen. Beide erhofften sich davon ein paar neue Ermittlungsansätze. Allerdings liefen Sie als erstes wieder dem Hausmeister über den Weg.
„Mister Charon ist tot?“
„Ja. Er wurde tot im Seepark gefunden.“
„Traurig. Er wohnte schon lange hier.“
Cornelia kam eine Idee, vielleicht wusste der Hausmeister zumindest die Antwort auf eine ihrer Fragen.
„Sagen Sie mal, gibt es noch eine andere Möglichkeit in die oberen Etagen zu kommen, als der antike Fahrstuhl in der Halle und das Treppenhaus?“
„Sicher! Hinter den alten Gesindewohnungen gibt es einen Lastenaufzug. Aber der wird eigentlich nur benutzt, wenn einer der Mieter auszieht. Das letzte Mal ist sicher schon 2 Jahre her.“
„Danke für die Information, das könnte noch wichtig werden. Haben Sie einen Schlüssel zu dem Aufzug?“
„Nein, den hat der Verwalter unter Verschluss. Der Aufzugschacht ist von den Wohnungen aus nicht verriegelt, deshalb darf den Aufzug ohne Aufsicht niemand benutzen!“
Peter sah seine Kollegin erstaunt an. Sie hatte mit ihrer charmanten Art in wenigen Sekunden mehr Neuigkeiten in Erfahrung gebracht als er mit seinen Befragungen der Nachbarn am gestrigen Nachmittag. Er wartete bis sie in der Halle standen, bevor er sie darauf ansprach.
„Wie kamst du auf die Idee mit dem zweiten Lift?“
„Es musste eine dritte Lösung geben, denn der Fahrstuhl und die Treppe hatten wir doch schon ausgeschlossen, war einfach mal eine Frage ins Blaue.“
Sie klopften an der Türe des Hausverwalters und wurden nach einem kurzen Gespräch zu ihm hereingebeten. Doch nicht in seine Wohnung, sondern in einen Raum direkt hinter der Türe, der nach einem Büro aussah. Ordentlich aufgereihte Ordner in den Regalen und ein neuer PC auf dem Schreibtisch, was keiner von beiden erwartet hätte.
„Nehmen Sie doch Platz.“
„Danke.“
Peter Zufall übernahm die Befragung, während seine Partnerin den Befragten erst einmal nur beobachtete.
„Der Hausmeister sagte uns, dass es noch einen zweiten Aufzug gibt.“
„Das ist richtig, der alte Lastenaufzug, damit würden früher die Dienstbotentrakte der Wohnungen mit Waren beliefert. Heute nutzen wir ihn nur noch für den Möbeltransport bei Ein- und Auszügen.“
„Ist der Zugang zum Lastenaufzug für alle hier zugänglich?“
„Nein, der Zugang ist verschlossen. Er führt auf den Hinterhof und ist doppelt gesichert. Die Türe hat einen schweren Riegel und für das Schloss braucht man einen Spezialschlüssel.“
Bei seinen letzten Worten öffnete er eine Schublade des Schreibtisches und holte einen großen Schlüsselbund hervor. Zielstrebig griff er nach einem eigenartig geformten Schlüssel.
„Das ist der einzige Schlüsse für den Fahrstuhlschacht.“
„Hatte Herr Charon in letzter Zeit irgendwelchen Besuch? Jemand, der vielleicht öfter hier war?“
„Ich führe über so etwas nicht Buch.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“
„Nein, nicht dass ich wüsste. Mister Charon war immer sehr zurückhaltend und er war der einzige Mieter, der den Fahrstuhl auch selbst bedienen konnte. Ob er dabei immer alleine in seine Etage gefahren ist, kann ich Ihnen aber nicht sagen.“
Nun versuchte Cornelia ihr Glück mit dem sehr zurückhaltenden Mann.
„Wie war Mister Charon so?“
„Freundlich.“
„Gab es irgendwelche Besonderheiten?“
„Was meinen Sie?“
„Nun, irgendetwas, was Ihnen aufgefallen wäre, vielleicht etwas, was ihn von den anderen Mietern unterschied?“
„Mister Charon war ein sehr zurückhaltender Mensch, der immer höflich und freundlich war. Es gab keine Skandale, niemand hat sich je über ihn beschwert, was man von anderen Mietern leider nicht immer sagen kann.“
„Gibt es Familie, Angehörige von Herrn Charon?“
„Soweit mir bekannt ist nicht.“
„Hatte er eine Beziehung?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
Die Befragung brachte keine neuen Erkenntnisse, aber eines gab es jetzt noch zu tun. Und Peter Zufall kam sofort zur Sache.
„Wir würden uns gerne den Lastenaufzug einmal genauer ansehen. Möglicherweise muss die KTU da auch noch einmal dran.“
„Warum?“
„Mister Charon wurde in seiner Wohnung ermordet und seine Leiche aus dem Haus geschafft, ohne, dass es jemandem aufgefallen wäre. Über das Treppenhaus oder den Fahrstuhl in der Halle wäre das wohl nicht möglich.“

Nachdenklich begleitete der Verwalter die beiden Kommissare durch den Hinterhof zur Aufzugtüre, die tatsächlich gut verschlossen war. Nichts deutete darauf hin, dass das in letzter Zeit einmal anders gewesen sein sollte. Umständlich schloss er das Tor auf und ließ die beiden Ermittler in den Fahrstuhl steigen. Der Fahrstuhlkasten war zu zwei Seiten hin offen und hatte keine Wände. Im Inneren gab es ein kleines Tastenfeld, um die Etagen auszuwählen und als Cornelia auf den Knopf der sechsten Etage drückte, fuhr der Aufzug sanft und fast geräuschlos den Schacht hinauf.

Oben angekommen, öffnete der Verwalter eine Türe, die Peter Zufall von innen für die Türe einer Vorratskammer gehalten hatte. Sie lag genau zwischen der kleinen Küche und den angrenzenden Personalzimmern.
„Sagen Sie, hat jemand hier im Haus noch Angestellte? Zimmermädchen, Koch oder Butler?“
„Nein, die Zeiten sind leider längst vorbei. Wir haben eine Reinigungsfirma, die die gemeinschaftlich genutzten Räume, die Flure und Treppen putzt, aber hier lebendes Personal hat heute keiner unserer Mieter mehr.“
„Nun, dann werde ich nachher die KTU noch einmal vorbeischicken müssen, halten Sie bitte den Fahrstuhl abgeschlossen, bis die Kollegen hier alles gesichert haben, was sich vielleicht an Spuren finden lässt.“
„Es kann niemand diesen Aufzug benutzt haben, Herr Kommissar. Ohne meinen Schlüssel kommt niemand hier hin.“
„Es gibt keinen Ersatzschlüssel? Ganz sicher?“
„Es wäre mir neu, wenn es noch einen zweiten Schlüssel gäbe und diesen hier hüte ich wie meinen eigenen Augapfel. Er liegt immer in der verschlossenen Schublade meines Schreibtisches. Und auch das Büro ist sorgsam verschlossen, wenn ich es nicht benutze.“
Die beiden glaubten ihm sofort. Er war noch von der alten Schule, die besonders ordentlich und fest in ihren Arbeitsabläufen waren. Und als Mörder konnte sich das Ermittlerteam diesen Mann auch beim besten Willen nicht vorstellen.

Als sie wieder nach unten gefahren waren, schauten die beiden dem Hausverwalter noch beim Abschließen der Türe zu und verabschiedeten sich dann noch einmal mit dem Hinweis, die Türe verschlossen zu lassen, bis die Kollegen der Kriminaltechnischen Untersuchung kamen, um Beweise zu sichern, falls sich dort welche finden ließen.

Sie verließen das Gebäude durch den Haupteingang und wanderten um das Haus herum, um sich den Zugang zum Hinterhof genauer anzusehen. Im Nachbarhaus war ein großes unverschlossenes Tor, das auf den Hof führte, der sich hinter insgesamt sechs Häusern erstreckte und von einigen der Mieter wohl als Parkplatz genutzt wurde, aber auch zwei Lieferwagen waren dort geparkt. Einer davon wurde gerade mit Kisten beladen.
„Da drüben, Peter.“
„Ja, ich sehe es. Scheint hier Alltag zu sein, dass etwas aus- oder eingeladen wird. Das dürfe es unserem Mörder leicht gemacht haben. Aus dem Fahrstuhl heraus und direkt in einen Wagen. Und dann richtig Seepark.“
„Tja, das Wie ist also inzwischen ziemlich klar, was uns noch fehlt ist das Wer und das Warum.“
Peter Zufall rief Dirk Brünn an und bestellte ihn zur Überprüfung des Lastenaufzuges noch einmal an den Tatort.

Dieser Moment in dem ich dachte, er könne mich sehen, hatte mich aus dem Konzept gebracht. Dabei konnte er mir doch jetzt nicht mehr gefährlich werden. Ich meine, er hatte mich umgebracht, was wollte er also mehr tun als das? Ich erholte mich schnell von dem Schock und folgte ihm durch die Nacht. Vielleicht konnte ich verhindern, dass er ein neues Opfer findet. Zumindest wollte ich es ihm so schwer wie möglich machen. Allerdings hatte ich meine Zeit an ihn verschwendet, denn ganz offensichtlich hatte er das richtige Opfer noch nicht gefunden und war an anderen Menschen denen er begegnete nicht interessiert.

Erst in den frühen Morgenstunden hatte er sich in seine derzeitige Wohnung zurückgezogen und so kannte ich zumindest seinen Unterschlupf, vielleicht würde das noch nützlich sein, doch vorerst schien er sich erst einmal ausruhen zu wollen. Als Toter braucht man keinen Schlaf, also machte ich mich als nächstes auf die Suche nach meinen beiden Polizisten und fand sie im Hinterhof meines Wohnhauses. Sie hatten also inzwischen herausgefunden wie meine Leiche aus der Wohnung geschafft worden war. Das beruhigte mich, denn damit waren wir schon einen ganzen Schritt weiter auf dem Weg der Aufklärung meines Todes. Ich folgte den beiden aufs Präsidium und belauschte neugierig ihre Gespräche zu meiner Akte.

Peter und Cornelia waren ins Büro gefahren, wo sie auf ihren Schreibtischen die ersten Ergebnisse der Forensiker vorfanden. Allerdings war die Masse an Beweismaterial einfach zu groß, um schon einen abschließenden Bericht zum Tatort zu haben. Doch die beiden waren dankbar für jeden noch so keinen Ermittlungsansatz den sie in den Akten vielleicht finden würden.
„Das sieht nach einer sehr brutalen Art aus einen Menschen zu töten.“
„Ja, aber das hatte ich nach dem Fund der Leiche schon gedacht. So viele Verletzungen hab ich noch nie an einer einzigen Leiche gesehen.“
„Laut KTU gibt es keinerlei Einbruchsspuren, was bedeutet, dass das Opfer seinen Mörder kannte. Hat er ihn selbst mit in seine Wohnung gebracht?“
„Davon muss man ausgehen. Obwohl... der Lastenaufzug wäre auch eine Möglichkeit ungesehen in die Wohnung zu gelangen.“
„Wenn die Türe im Hinterhof nicht wäre.“
„Da die Leiche aber doch nur so aus der Wohnung geschafft worden sein kann, muss der Täter einen Schlüssel haben. Vielleicht gibt es eben doch einen Zweitschlüssel für den Aufzugschacht.“
„Noch haben wie keinen Beweis, dass unsere Theorie stimmt. Warten wir mal ab, was Dirk nachher zu den Spuren zu sagen hat, wenn es denn überhaupt welche gibt.“
Cornelia beugte sich über die Akte und las jedes Wort noch einmal. Dabei versuchte sie sich die Tat vorzustellen, die zu den Spuren geführt hatte. Die Verstümmelungen, die Schnitte, das viele Blut. Der Tatort und der Fundort. Das alles musste doch einen Grund haben.
„Warum hat er die Leiche im Seepark abgelegt, aber den Tatort unberührt gelassen? Das macht doch keinen Sinn. Dann hätte er doch die Leiche auch einfach liegen lassen können. So schnell hätte die doch niemand gefunden.“
„Vielleicht doch. Der Geruch der Verwesung wäre vielleicht den Nachbarn aufgefallen.“
„Aber die Leiche war doch nicht vergraben oder? Sie lag doch einfach nur im Unterholz des Parks oder?“
„Ja, warum?“
„Das ergibt alles keinen Sinn. Ein ungereinigter Tatort, eine weggeschaffte Leiche, die aber dann nicht einmal wirklich versteckt wird. Wenn ich nicht entdeckt werden will, dann lasse ich die Leiche verschwinden und reinige den Tatort. Hätte der Täter das getan, würden wir nicht ermitteln, denn es gäbe keinen Fall. Und selbst wenn irgendwann jemand das Opfer als vermisst gemeldet hätte, ohne die Leiche wären wir doch aufgeschmissen...“
„Du hast Recht. Das ergibt alles keinen wirklichen Sinn.“

Als ob ein tieferer Sinn hinter meinem Tod stecken würde. Ich bin tot, weil jemand seinen Spaß daran hatte. Er hatte kein anderes Motiv als einfach jemanden sterben zu sehen. Aber wie kann ich das meinen beiden Kriminalisten klar machen? Vielleicht hätte ich die Sache mit dem Besessen sein inzwischen doch einmal ein bisschen über sollen. Es war zum Verzweifeln, den beiden dabei zuzusehen, wie sie keinen Schritt weiterkamen und gleichzeitig zu wissen, dass mein Mörder schon wieder nach einem neuen Opfer suchte.

Cornelia Röbel machte sich gerade Notizen, als ihr eine Idee kam.
„Versuchen wir es mal umgekehrt, Peter!“
„Umgekehrt?“
„Ja, schließen wir aus, was auf keinen Fall infrage kommt, vielleicht bringt uns das was übrig bleibt auf eine heiße Spur.“
„Gut. Raubmord lässt sich ausschließen. Die Wohnung war voller Kunstwerke und teurer Elektrogeräte und es lag ein ganzes Bündel Geldscheine in seiner Kommode. Wenn es um Raub gegangen wäre, dann wäre nichts davon noch an seinem Platz.“
„Es gibt keinerlei Hinweis auf eine persönliche Beziehung, also können wir einen Beziehungsmord auch ausschließen. Keine Rache, keine verschmähte Liebe, kein Scheidungskrieg, nichts greifbares.“
„Stop! Rache würde ich erst einmal nicht ausschließen wollen. Alles an diesem Tatort schreit geradezu, dass Hass und Rache eine Rolle spielen könnten.“
„Ich kann in seinen Unterlagen nicht den geringsten Hinweis darauf finden, dass er irgendwelche Feinde hatte.“
„Dazu könne wir wahrscheinlich nichts sagen. Jedenfalls noch nicht. Ich glaube, wir wissen einfach zu wenig über Mister Charon, um das ausschließen zu können.“
„Ritualmord?“
„Keine der üblichen Symbole oder Blutschmierereien an den Wänden, keine Pentagramme, Voodoo oder andere magische Zeichen in den Räumen oder an der Leiche. Selbst die Verletzungen konnte unser Forensiker Dirk nicht in irgendeinen Zusammenhang mit etwas Okkultem bringen. Ich glaube das ist eine Sackgasse.“
„Also Ritualmord, Beziehungstat und Raum schließen wir erst einmal aus?“
„Was bleibt dann?“
„Ich sehe da einfach kein Motiv, aber es muss eins geben. Dieser Mord war so brutal, es muss etwas persönliches sein zwischen dem Opfer und seinem Mörder.“
Die beiden grübelten verzweifelt über alle möglichen Motive nach, aber ohne weitere Hinweise, irgendwelche Spuren, einen möglichen Verdächtigen hatten sie einfach keinen Ansatzpunkt mehr. Dieser Fall war zum Verzweifeln, selbst die Identität und der Tatort waren einzig einem Zufall zu verdanken. Und das frustrierte den erfahrenen Ermittler und seine Kollegin zunehmend.

Ich hatte sie meine Leiche finden lassen, ihnen geholfen meine Identität herauszufinden und dann den Tatort entdecken zu können, aber jetzt wusste ich einfach nicht weiter. Wie sollte ich ihnen helfen? Ich kannte meinen Mörder, wusste sogar wo er sich gerade aufhielt und dass er ein neues Opfer suchte, aber ich konnte es den beiden nicht einfach sagen. Zum ersten Mal seit meinem Tod hatte ich das Gefühl in der Hölle zu sein.

Der Forensiker Dirk Brünn klopfte an die Türe und brachte den beiden seine neuesten Ergebnisse. Peter Zufall hatte das Gefühl, dass es an seiner neuen Kollegin lag, dass der sonst so an sein eigenes Reich gefesselte Leiter der Forensik aus den Katakomben in den zweiten Stock kam.
„Ich hab hier was für euch. Der Lastenaufzug war gereinigt worden, aber zwischen dem vierten und fünften Stock habe ich Blut an der Wand des Schachts gefunden und noch etwas: ein Haar, dass nicht dem Opfer gehört. Dunkelbraun, männlich, keine Treffer in den Datenbanken.“
„Also suchen wir nach einem dunkelhaarigen Mann. Das halbiert unsere Verdächtigen.“
„Spar dir den Sarkasmus, Peter.“
„Das sagst du so einfach, Dirk, dieser Fall ist zum Verzweifeln.“
„Sag das nicht, Du hast bisher noch jeden deiner Fälle gelöst, außerdem kann ich euch mit noch ein paar anderen Details behilflich sein, was die Tat und den Tatablauf angeht. Das Opfer wurde über mehrere Tage gequält und verletzt, bevor der Täter ihn letztendlich umbrachte. Da ist ein Sadist am Werk, gegen der Marquis de Sade ein Waisenknabe ist. Wenn ihr mich fragt, dann war die Qual seines Opfers der Motiv für diesen Mord.“
Nach dieser Information herrschte Schweigen in dem kleinen Büroraum. Aber schnell war den beiden Kommissaren klar, dass dieses Motiv perfekt in das Bild des Mordes passte. Cornelia war die erste, die ihre Gedanken in Worte fasste.
„Dann hat er vielleicht schon vorher gemordet.“
„Ja. So wie der Tatort aussah ganz sicher.“
„Und so wie die Leiche zugerichtet war erst recht, denn er wusste genau, wie weit die Schnitte gehen durften ohne das Opfer sofort zu töten.“
Wieder war es Cornelia, die einen weiteren wichtigen Punkt zur Sprache brachte.
„Er hat keine Angst erwischt zu werden. Er weiß genau was er tut und wenn ihn nichts mit seinen Opfern verbindet, wird es schwer für uns, ihn zu finden.“
„Wir sollten in den Akten der offenen Fälle nachsehen. Fälle mit besonderer Brutalität und Grausamkeit. Es muss vorher schon Opfer gegeben haben.“
„Dann schmeiß deinen Rechner mal an, Peter, ich mache mich wieder auf in die Forensik.“

Ja, es musste andere wie mich geben. Andere, die er verzaubert hat, die er manipuliert hat. In deren Leben er sich eingeschlichen hat und die am Ende mit dem Tod dafür bezahlen mussten, dass sie ihn in ihr Leben gelassen hatten. Das traf mich wie ein Schlag und machte mir klar, warum ich hier war. Ich hatte eine Aufgabe, ich musste zwei guten Ermittlern dabei helfen ihn zur Strecke zu bringen. Deshalb war ich hier zwischen den Welten.

Sie verbrachten den ganzen Tag vor dem Rechner und in den Archiven und als die Sonne unterging hatten sie vier weitere Fälle gefunden, die in das Muster passten. Einer davon hier, die anderen drei über das ganze Land verteilt. Der älteste bereits zehn Jahre her. Es musste noch andere geben, aber viele kleinere Städte hatten nicht die technischen Mittel, und das Personal all ihre Fälle in das System einzugeben.
„Wir suchen einen Serienmörder.“
„Ja, eindeutig, Cornelia. Ich werde die Unterlagen zu all dieses Fällen anfordern, vielleicht bekommen wir so genug Informationen zusammen, um einen Verdächtigen zu finden. Keiner der Fälle ist aufgeklärt, es gab nie einen Verdächtigen, aber vielleicht gibt es dort auch Spuren, wie unser Haar.“
„Das wäre aber wirklich ein Glückstreffer.“
„Nein, so wenig wie er darauf achtet unentdeckt zu bleiben, muss es einfach andere Hinweise geben!“


FORTSETZUNG FOLGT...


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