Sonntag, 24. August 2014

[Fragment] Arbeitstitel: Der Nephilim

                                              Prolog


Eiskaltes Herz. Nachtschwarze Seele. Ohne Gewissen. So dunkel sein Innerstes, so rein und weiß sein Äußeres. Wen er in seine Augen blicken lässt, der ist verloren. Zwei unergründliche Seen, in die man eintaucht und aus denen man erst wieder an die Oberfläche zurück findet, wenn er es zulässt. Ein unwiderstehliches Lächeln umspielt seine Lippen und macht jeden blind für sein wahres Wesen. Empfangen, geboren und gesäugt von einer sterblichen Mutter. Gezeugt jedoch von einem Himmelswesen, einem der ewigen Wächter, einem Egregoroi.

Seine Augen suchen stets nach dem nächsten Opfer seines unstillbaren Dranges. Ein unabwendbarer Teil seines Erbes. Göttliches Blut gefangen in einem menschlichen Körper. Eine Kombination aus der nichts Gutes erwachsen kann. In den Augen der sterblichen Menschen ist er perfekt. Sie sehen das Göttliche in ihm, ohne es als dieses zu erkennen. Seine Wirkung auf andere ist berauschend und es ist ihm ein Leichtes, in ihnen Begehren zu wecken. Und wenn er das tut, dann nur aus einem Grund: einen Menschen in sein Verderben zu locken. Was waren ihm Menschenkinder anderes als Spielzeug? Er berauschte sich daran, sie zu manipulieren, mit ihnen zu spielen, wie ein Katze mit der gefangenen Maus. 

                                                            * * *


                                              Aufbruch

Einsame Schritte hallten durch die stockfinsternen Gassen. Es würde noch eine Stunde dauern, bevor die Sonne mit ihren Strahlen die handtellergroßen Pflastersteine aufwärmen und sich die Straßen mit Leben füllen würden. Dass er so früh schon in den Feuerpalast befohlen war, konnte nichts Gutes bedeuten. Wenn sie bereits vor Sonnenaufgang nach ihm schickte, dann musste etwas ernstes vorgefallen sein. Grübelnd folgte er der Wache, die ihn mit schnellen Schritten durch die verlassenen Gassen zum Palast geleitete.

Er stutzte kurz, als sein Führer nicht in Richtung des großen Torhauses abbog, sondern ihn in eine schmutzige, enge Seitenstraße an der äußeren Palastmauer geleitete. Als sie nach einigen Schritten eine in der Mauer eingelassene Pforte erreichten, klopfte der Wächter gegen das harte, verwitterte Holz. Knarrend wurden mehrere Riegel zurückgeschoben. Dann öffnete sich die Türe mit einem leisen, durchdringenden Quietschen. Wenn man ihn den Palast nicht durch das für alle sichtbare Tor betreten ließ, dann war die Nachricht, die seine Anwesenheit im Palast erforderte bedeutender, als ihm lieb sein konnte.

Im Hof hinter der Mauer wurde er vom Kämmerer der Herrin in Empfang genommen. Dieser bat ihn wortlos ihm zu folgen. Schweigend wanderten sie durch verborgene Flure und über steile Stiegen. Auch der Palast lag noch in tiefem Schlaf und so gelangten sie ungesehen in die Gemächer der Herrin. Dort wurde er angewiesen zu warten. Der Kämmerer verschwand durch eine weitere Türe in einen der anderen Räume und nachdem er die Pforte hinter sich geschlossen hatte, herrschte  tiefe Stille, die ihm unangenehm unter die Haut kroch. Ungewissheit kroch ihm kalt in die Brust.

Angespannt wartete er auf ihr erscheinen. Was wusste sie, dass sie ihn aus dem Bett holen ließ? Er fühlte sich immer unwohl in ihrer Gegenwart. Ihm war, als könne sie einem Menschen direkt ins Herz sehen, seine Stärken und Schwächen. Berechnend zog sie daraus ihren Nutzen, so war auch er in ihre Dienste geraten. Sie hatte ihn in der Hand und das wussten er nur zu gut. Wäre das nicht so, läge er ganz sicher noch in seinem warmen Bett und würde von schöneren Dingen träumen. Der Hauch eines Lächelns erschien auf seinen Lippen bei diesem Gedanken.

    „Was amüsiert euch?“

Unbemerkt war sie eingetreten und gab ihm sofort das Gefühl bei irgendetwas Verbotenem ertappt worden zu sein. Er ging auf die Knie, wie er es seiner Herrin schuldete, dann blickte er auf. Sie war eine schöne Frau, mächtig und klug genug, um zu wissen, dass ihre Schönheit ihr die größte Macht verlieh.

    „Herrin, ihr habt mich rufen lassen? Was kann ich für euch tun?“

Sie lächelte. Doch Ernsthaftigkeit wischte das Lächeln schnell von ihren Lippen. Zu ernst war die Nachricht, die sie erhalten hatte. Zu groß die Gefahr in der sich das Reich befand.

    „Ich habe euch rufen lassen, weil ich euch vertraue. Trotz allem, was ich über euch weiß, seid ihr einer der wenigen Männer in meinen Diensten, dem Ehre und Ehrlichkeit noch etwas bedeuten. Und den Auftrag den ich für euch habe, würde ich keinem anderen Menschen anvertrauen als euch.“

    „Herrin, ihr ehrt mich.“

Sie lachte kurz auf.

    „Nein, ich schmeichle euch nur, weil ich mehr von euch verlangen werde, als ich verlangen kann.“

Die Stille lastete schwer auf ihm. Innerlich wappnete er sich gegen ihre Bitte, doch als sie aussprach, was sie von ihm erwartete, trieb es Furcht wie eine eiskalte Klinge in sein Herz.

    „Ich schicke euch mit einer Botschaft in die Länder der Nacht, jenseits des Meeres der Toten. Der König ist tot. Noch weiß es niemand, aber ihr müsst auf dem Weg sein, bevor es bekannt wird, also bitte ich euch, sofort an Bord eines Schiffes zu gehen. Ihr werdet auf dem Schiff alles notwendige vorfinden, ich schicke einen Boten in euer Haus um euer Gesinde von eurer Abreise in Kenntnis zu setzen.“

Bei ihren letzten Worten betrat der Kämmerer den Raum.

    „Herrin, das Boot ist bereit.“

    „Ihr begleitet meinen Boten zum Schiff, Kämmerer“

Nur ein leichtes Nicken folgte ihrem Befehl und der Kämmerer führte ihn wieder durch verborgene Gänge und über steile Stufen durch den Palast. Die alten Gemäuer schienen viele Geheimnisse zu bergen, denn hinter der letzten Türe die der Kämmerer öffnete, befand sich ein Lagerraum, der bereits zu den Hafenanlagen gehörte. Arbeiter trugen Fässer und Bündel von dort auf ein Schiff am Kai.

Er trat hinaus in das Licht der aufgehenden Sonne und atmete die frische Seeluft ein. Die Meere der Toten. Es musste sie ein Vermögen gekostet haben, einen Kapitän zu finden, der sich auf diese Reise wagen würde. Das Schiff war aus dem dunklen Holz des Nachtbaumes, seine Segel waren schwarz und an seinem Bug prangte ein angsteinflößender Drache. Als er den Namen las, wusste er, dass seine Reise um einiges sicherer sein würde als er bisher gedacht hatte, denn jeder kannte den Kapitän der Nachtbarke. Sofort erklomm er die Planke und machte sich auf die Suche nach seinem Fährmann in die Länder der Nacht.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Um unerwünschte Werbung zu vermeiden, werden alle Kommentare vor der Veröffentlichung überprüft. Bis zur Anzeige des Kommentars können 48 Stunden vergehen.