Dienstag, 15. Juli 2014

Fragment, Seeszene

Ich habe lange am Rande des Sees gesessen und auf seine spiegelglatte Oberfläche gestarrt. Es stimmt schon, was man über den See sagt. Er raubt einem alle Hoffnung. Das Wasser schimmert schwarz und scheint mich zu rufen. Ich soll eintauchen in seine dunklen Tiefen, die kein Lichtstrahl je erreichen wird. Aber seine Kälte stößt mich ab.
Eirik sagt, dass er aus all den vergossenen Tränen besteht, die aus Leid und Trauer geflossen sind. Und je länger ich hier sitze, umso mehr fühle ich, dass er Recht hat. Der See wirkt wirklich sehr traurig.
Über mir strahlt der Himmel von tausend Sternen wieder, aber im See spiegelt sich nicht ein einziger davon. Nicht einmal der Vollmond kann mit seinem Licht diese Dunkelheit durchdringen.
Ich kann diese Stille nicht mehr ertragen und werfe einen Kieselstein in das völlig unbewegte Wasser. Ein dumpfes „Plopp“ und schon haben die schwarzen Wogen den kleinen weißen Kiesel verschluckt. Langsam läuft ein Wellenring zu den Ufern, danach ist das Wasser wieder still. Jeder Hinweis auf den Stein, der die Oberfläche durchschlagen hat, wieder verschwunden. Als ob es den Stein nie gegeben hätte.
Überhaupt ist es hier verdammt still. Auch im wärmsten Sonnenschein hört man hier keine Vögel zwitschern. Und in dieser Nacht ist nicht das kleinste Rascheln in den Bäumen und auf dem Boden zu hören.
Oerdal hat behauptet, dass das Wasser des Sees keine Boote trägt. Wenn ich so darüber nachdenke, dann scheint mir das glaubhaft. Der Boden rings um den See ist voller Blätter und Zweige von den alten Eichen, die seine Ufer säumen, doch auf dem Wasser schwimmt nicht ein einziges Blatt.
Ich möchte fühlen, ob es sich anders anfühlt, dieses alles verschlingende Nass. Ich möchte meine Finger über das Wasser gleiten lassen und dann eintauchen, um zu spüren, ob es wirklich so kalt ist. Ich hocke mich gerade hin, als Zeus ein laut vernehmliches Wiehern ausstößt. Beinahe hätte ich alles um mich herum vergessen.
Ich hatte Zeus schon einige Meter vor dem See an einen Baum gebunden, weil er scheute und sich keinen Schritt weiter auf das unheimliche Gewässer zu bewegen wollte. Und jetzt war es sein lautes Schnauben, dass mich vor der vernichtenden Kraft des Teiches rettete.
Ich stand wieder auf und ging zu meinem treuen Hengst. Bevor ich durch den dichten Eichenwald zu meinem geliebten Pferd gehe, werfe ich noch einen kurzen Blick zurück auf die schwarzen Fluten und erhasche so gerade noch einen kurzen Blick auf eine weiße Wölfin, die mich vom gegenüberliegenden Ufer des Sees ins Auge gefasst hat. Ihr Blick hat fast etwas menschliches. Mir läuft ein kalter Scheuer über den Rücken.
Mich treibt es zurück in den Palast, an ein warmes Feuer im Kamin der großen Halle und so schwinge ich mich auf meinen Zeus und reite zurück in die sichere Festung hoch oben über dem See.

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